Klimablockierer Europa

Die EU sieht sich als ökologische Vorreiterin. Für die Klimabewegung bildet sie eine massive Hürde, für die es noch keinen Plan gibt

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Letzte Woche stand die EU im klimapolitischen Rampenlicht: Das EU-Parlament stimmte dafür, ab 2035 keine neuen Verbrennerautos mehr zuzulassen. Jetzt stehen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten an, wobei Autoindustrieländer wie Deutschland traditionell humorlos auftreten. Nebenbei kam es zum Eklat, weil unter anderem eine Vorlage zur Erweiterung des Emissionshandels im Parlament durchfiel. Konservative und Grüne warfen einander vor, mit ganz rechts paktiert zu haben. Nachvollziehbar sind diese Prozesse nicht zufällig nur für einen kleinen Expert*innenkreis.

Das zu thematisieren, ist nicht leicht: EU-Kritik ist durch AfD und Brexit-Kampagne klar mit Rechtspopulismus assoziiert. Für Linksliberale gehört eine bedingungslos pro-europäische Haltung zum guten Ton, da die einzige präsente Alternative – Nationalismus – keine sein kann. Linke Parteien landen meistens bei Verlegenheitsformeln über »Reformbedarf«. Linksradikale Kritik beschränkte sich zuletzt meist auf das Grenzregime und Institutionen wie Frontex – inhaltlich richtig, aber als EU-Kritik dünn, da in der Grenzpolitik ohnehin alle Mitgliedsstaaten ähnliche Interessen verfolgen. Versuche der linken Kritik, die sich wie bei »Blockupy« auf die Rolle der Europäischen Zentralbank und auf deutsche Dominanz in der Eurozone fokussierten, wurden durch den Rechtsruck unterlaufen.

Aus dem Blick gerät schnell, dass das komplexe EU-Geflecht bewusst konstruiert wurde, um demokratische Spielräume der Staaten gerade in der Wirtschaftspolitik zu begrenzen: eine Art neoliberaler Rückversicherung. Dafür wurde die europäische Binnenmarktintegration in eine friedens- und kosmopolitische Rhetorik eingebettet, die sie schwer angreifbar macht. Heute scheitert praktisch jeder linke wirtschafts- oder klimapolitische Ansatz an irgendeiner EU-Richtlinie zum Schutz des »freien« Marktes. Progressive Reformen dieser Richtlinien sind fast aussichtslos, da insbesondere die Kommission – deren Mitglieder, nominiert von Regierungen, kaum Wähler*innen gefallen müssen – und der konsensorientierte EU-Rat blockieren. Das EU-Parlament setzt trotz des nominellen konservativen Übergewichts hin und wieder progressivere Impulse, ist aber relativ machtlos. Für transformativen Fortschritt in einem Land bräuchte es also schon einen parallelen und dauerhaften Linksrutsch quer durch die EU-Staaten.

Klimapolitisch scheint die EU dennoch bisweilen die Staaten vor sich herzutreiben, etwa beim Emissionshandel oder anderen Umweltauflagen, die Kohlestrom verteuern. An bestimmten Punkten kann die EU-Technokratie tatsächlich Spielräume für eine öko-technische Modernisierung effektiver ausnutzen als nationale Regierungen, da sie kaum populistische Gegenmobilisierungen aushalten muss. Doch wie beim Emissionshandel ist die Form immer vorgegeben: Es müssen marktkonforme Lösungen sein, alles andere wäre »diskriminierend«. Die Grenze ist erreicht, bevor Kapitalinteressen in der Breite negativ betroffen würden. Vorrangiges Ziel des »European Green Deal« ist Wettbewerbsfähigkeit, dann erst Klimaschutz – für 1,5 Grad zu wenig.

Auch die Klimabewegung ist da nicht besonders handlungsfähig. Neben punktuellen Treffen rund um die UN-Klimagipfel gibt es einen freundlichen Austausch über den Stand der Auseinandersetzungen mit nationalen Regierungen oder Konzernen. Aktivist*innen sehen sich auf Klimacamps quer durch Europa, um dort lokale Kämpfe zu unterstützen. Auf EU-Ebene arbeiten eine Handvoll NGO-Expert*innen und starten ab und zu europaweite Petitionen. Das Kräfteungleichgewicht gegenüber der gerne zitierten Armee von Industrielobbyist*innen ist hier viel dramatischer als auf Bundesebene, wo die Klimabewegung zumindest zu einer relevanten Debattenakteurin geworden ist.

Um Strategien für Klimagerechtigkeit entwickeln zu können, die nicht sofort am EU-Bollwerk abprallen, müsste sich die Bewegung mit dessen Rolle intensiver befassen. Immerhin teilen andere soziale Bewegungen dieses Schicksal – und könnten europapolitisch zusammenkommen.

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