Langzeitprojekt Hinweisgeberschutz

Das Bundeskabinett bringt den Whistleblowerschutz mit reichlich Verspätung auf EU-Standard

Überfällig ist gar kein Ausdruck beim neuen Gesetz, das Hinweisgeber*innen schützen soll und das das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg in Bundestag und Bundesrat brachte. Angestrebt ist ein Schutz vor den Folgen für diejenigen, die vertuschte Missstände an das Licht der Öffentlichkeit bringen. Whistleblowing, wie der selbstlose Aufschrei auch genannt wird, geht allzu oft mit Kündigung und Mobbing einher. »Menschen, die auf Missstände und rechtswidrige Vorgänge in den Unternehmen, Behörden und Institutionen, in denen sie arbeiten, aufmerksam machen, sollen nach dem Willen der grünen Bundestagsfraktion besser als bisher vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden«, hieß es schon vor über zehn Jahren, im Mai 2012, als die damals in der Opposition befindlichen Grünen einen Gesetzentwurf präsentierten. Auch damals war die Idee nicht neu. »Was lange währt, wird endlich gut – tatsächlich?«, schreibt das Whistleblower-Netzwerk WBN zum Referentenentwurf des Justizministeriums und zählt den nunmehr achten Anlauf zu einer gesetzlichen Regelung seit dem Jahr 2008. »Die sehr eingeschränkte Möglichkeit, sich ohne Angst vor Repressalien an die Medien zu wenden und auf erhebliche Missstände aufmerksam zu machen oder Anstoß zur investigativen Recherche zu geben, behindert außerdem die journalistische Arbeit und erschwert es den Medien, ihre Kontrollfunktion auszuüben«, sagt Klaus Bergmann, Vorstandsmitglied von WBN.

Schutz ist bitter nötig. Von der Pflegerin, die die Missstände im Altenheim nicht mehr erträgt, über den Apotheker, der zu niedrig dosierte Krebsmedikamente anprangert, bis zum Hinweisgeber der Panamapapers, der Steuerhinterziehungen offenlegte, die fast vierzig Jahre andauern konnten – die Folgen für Whistleblower sind schwerwiegend. Soziale Isolation, finanzieller Ruin und rechtliche Repressalien gehen immer wieder mit der Entscheidung für das Gewissen und im Sinne des öffentlichen Interesses einher.

Die Ampelkoalition hat nun Hausaufgaben gemacht, die bereits seit dem Jahr 2016 hätten erledigt sein können. Damals befasste sich zu Zeiten der Großen Koalition nicht nur der NSA-Untersuchungsausschuss mit den Folgen der Snowden-Enthüllungen. Die Wahrung von Geschäftsheimnissen schien vor allem den Unionsparteien wichtiger zu sein, die verbal gegen Whistleblower als Denunzianten austeilten. Statt neuer gesetzlicher Regelungen seien »interne Hinweisgebersysteme nötig«, so Unionsvertreter, die die Unternehmen lieber selbst an den Missständen arbeiten lassen wollten. Auch in den Jahren danach ging der regierenden Union jeder Gesetzentwurf zu weit. Der jetzige Entwurf ist eine notwendige Gesichtswahrung. Seit im Dezember 2021 die Frist der EU verstrichen ist, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, läuft ein Vertragsverletzungsverfahren. Deutschland hinkt jedoch nicht allein hinterher. 22 weitere Länder haben es nicht eilig, die EU-Richtline in nationale Gesetzgebung umzusetzen.

Es bleiben Lücken

Geschützt werden mit dem neuen Gesetz nicht nur Arbeitnehmer*innen, sondern auch Beamt*innen, Selbstständige, Anteilseigner*innen und Mitarbeitende von Lieferanten. Bei den Hinweisen kann es beispielsweise um Verstöße gegen Umweltschutzvorgaben oder Sicherheitsvorschriften, aber auch gegen das Kartellrecht gehen. Meldestellen sollen die Identität der Whistleblower*innen vertraulich behandeln.

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Der Haken: Nur Arbeitgeber und Organisationen mit mindestens 50 Beschäftigten sollen Meldestellen einrichten müssen. In Konzernen reiche eine Meldestelle bei der Konzernmutter. Im öffentlichen Dienst sei die letzte Instanz abseits des Meldewegs das Bundesamt für Justiz. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) meint, Unternehmen und Behörden selbst würden profitieren, weil durch frühzeitiges Einschreiten Haftungsansprüche und Reputationsschäden vermieden werden könnten. Sein parlamentarischer Staatssekretär Benjamin Strasser sagt optimistisch: »Die letzte Bundesregierung hat es versäumt, Whistleblower gesetzlich zu schützen – obwohl auch das europäische Recht dies verlangt. Wir beheben diesen Missstand jetzt.«

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