Roboter und Buddhismus

Das ZKM Karlsruhe stellt das Lebenswerk der Videokunstpionierin Soun-Gui Kim vor

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Kims Performance-Serie »Situation Plastique« (1972 – 1974) ist in einer Installation in der Ausstellung zu sehen.
Kims Performance-Serie »Situation Plastique« (1972 – 1974) ist in einer Installation in der Ausstellung zu sehen.

Videokunst gilt oft als männlich. Dabei waren unter den Pionieren zahlreiche Frauen wie Joan Jonas, Martha Rosler oder Valie Export. Das ZKM Karlsruhe, das von Valie Exports früherem künstlerischen Partner Peter Weibel gegründet und immer noch geleitet wird, will mit der Ausstellungsserie »Female Perspectives« nun Videokünstlerinnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Den Auftakt macht die Ausstellung »Lazy Clouds« der koreanisch-französischen Videopionierin Soun-Gui Kim.

Im hohen Ausstellungsraum schwebt ein Luftschiff. In seinem Schatten sitzt ein in Menschenform gestalteter Roboter. Rot blinkende Dioden legen nahe, dass er sich in einem Wachmodus befindet, selbst wenn er sich nicht bewegt. Der Roboter hält ein aufgeschlagenes Buch zwischen seinen Maschinenhänden. Die Seiten sind mit koreanischen Schriftzeichen bedeckt. Es handelt sich laut Soun-Gui Kim um einen Gedichtband. Der Roboter sitzt also auf einer Bank, neben ihm wächst ein Baum, über ihm schwebt ein Luftschiff und er selbst beschäftigt sich mit Poesie. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Technologisches und Natürliches, Erdgebundenes und nach oben Strebendes sind hier miteinander verbunden.

Diese Entgrenzung von Räumen und der Sinn für die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Zeiten sind typisch für die im Jahr 1946 in Südkorea geborene und seit den 70er Jahren in Frankreich lebende Künstlerin. Sie verbindet, wie sie selbst sagt, östliche und westliche Kulturen und Kunsttechniken. Einst kam sie von der Malerei und Kalligrafie, wie auch in dieser ersten großen Einzelausstellung in Europa mit etwa 150 Arbeiten zu sehen ist.

Mit dem Aufkommen von Videokameras entdeckte sie aber ihre Liebe zu diesem Medium, mit dem sich der Fluss der Zeit im Raum nachvollziehen lässt. Zahlreiche Arbeiten bestehen denn auch aus langen Einstellungen oder greifen Wiederholungen auf. In »Rear Window« (2015) ließ sie eine Kamera ein ganzes Jahr lang die sich durch die Jahreszeiten verändernde Szenerie vor dem Fenster ihres Ateliers aufnehmen. Auf immer noch gewaltig anmutende vier Stunden Länge ist das Videomaterial komprimiert, und es zeigt Landschaften mit Schnee und dann wieder in hellster Sommersonne glänzend.

In »Il-Ki« (1971 – 73) dokumentiert Kim eine Serie von Performances, die sie in jener Zeit, frisch angekommen in Nizza, in der Natur betrieb. Man sieht sie, wie sie eine Schaufel in das Erdreich sticht und eine Grube ausgräbt. Die schüttet sie im weiteren Verlauf der Performance wieder zu. Es handelt sich um minimalistische Repetitionsarbeit, die sich bis ins Unendliche ausdehnen kann. In »Prepared Piano« (1985) zeigt sie Aufnahmen eines Klaviers, das sie im Sommer wie im Winter in einem Waldstück aufstellte und darauf spielte. Am Ende lässt sie das Klavier in Flammen aufgehen.

Am prägnantesten ist Kims Auseinandersetzung mit dem Werden und Vergehen in der Videoarbeit »Butterfly Dream«. Sie beginnt mit mächtigen Trommelschlägen eines buddhistischen Mönchs. Der begleitet damit die Bestattungszeremonie eines Priesters. Auf drei parallelen Leinwänden sieht man die Beteiligten an dieser Zeremonie, viele Mönche, aber auch Personen in Zivilkleidung, die immer wieder neue Konstellationen bilden. Über die Bildoberfläche lässt Kim eine Art transparente Linse kreisen, die in ihrem Inneren das Bild ein wenig verfremdet. Es ist ein irritierendes Element. Schließlich erfasst die Kamera den aufrecht sitzenden Körper des Toten. Um ihn herum wird ein Feuer angezündet. Die Flammen nagen an seinem Körper, verfärben ihn schwarz, verkohlen und verbrennen ihn. Es ist eine radikale und verstörende Arbeit, die Kim erstmals 1993 auf einem Festival in Japan vorstellte. Sie macht westliche Betrachter auf Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Gesellschaften aufmerksam.

Dass es Soun-Gui Kim um alles geht, nicht nur das Ende, wird schließlich anhand der großfarmtigen Videoinstallationen über die Performance-Serie »Situation Plastique« deutlich. Sie versammelte in Frankreich eine Gruppe Interessierte, die Drachen und Ballons baute. Die Drachen wurden zu mehreren Anlässen in den Jahren 1972 bis 74 an den Mittelmeerstränden um Nizza in die Luft gebracht. Im gleichen Zeitraum ließ sie in Zusammenarbeit mit Studierenden in Bordeaux 300 weiße Ballons nähen, die dann per Boot auf einen See gefahren und dort frei gelassen wurden. Die Videos zeigen Herstellungsprozess und Luftfahrt. Voller Poesie sind diese ganz simplen fliegenden Apparate, wenn sie am Himmel, von den Zufällen des Windes gelenkt, ihre Bahnen ziehen.

Dass Kim mit solchen Ansätzen nicht allein war, sondern ein wichtiger Teil der Avantgarde der 1970er und 1980er Jahre ebenfalls mit dem Zufall als Kompositionsprinzip arbeitete, wird in den Zusammenarbeiten mit John Cage bei mehreren Festivals deutlich.

Dezidiert politische Arbeiten schuf Soun-Gui Kim ebenfalls. In der Videoinstallation »Without Name« wählt sie das Mittel der Gebärdensprache, um schier Unaussprechliches doch auszudrücken. Es handelt sich um Erlebnisberichte koreanischer Frauen und Mädchen, die während des Zweiten Weltkriegs von japanischen Militärs zur Prostitution gezwungen wurden. Euphemistisch wurden sie als »Trostfrauen« bezeichnet. Sie filmte ihre Arbeit in einer Shoppingzone in Seoul. Viele Mädchen und junge Frauen flanieren im Hintergrund vorbei, während Kims Hände Worte formen. »Alle Klugen starben und nur die Dummen überlebten«, lautet das bittere Fazit einer Frau, die die Eroberung ihrer Stadt durch die japanische Invasionsarmee zwar überlebte, dann aber durch die Hölle des vielfachen Missbrauchs musste. Die Arbeit stammt aus dem Jahr 1995, sie geht auf Ereignisse von 50 Jahren zuvor zurück. An Aktualität hat sie leider nichts eingebüßt.

Soun-Gui Kim – »Lazy Clouds«, bis zum 5. Februar 2023, ZKM Karlsruhe.

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