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- "Lea - The Fighter"
Linke Gerade auf gläserne Decken
Die sechsteilige Serie »Lea – The Fighter« porträtiert eine Boxerin im Umfeld männlicher Manipulation
Das menschliche Rückgrat ist ein ebenso stabiles wie biegsames Knochengerüst. Wer es spür- und sichtbar durchdrücken will, braucht da in der Regel zweierlei: Selbstvertrauen und Kraft, idealerweise beides zusammen, am besten im Mischungsverhältnis eins zu eins, also ungefähr das von Lea. Nach einer Dopingsperre ist die Profiboxerin gestählt, aber auch demütig in den Ring zurückgekehrt. Lea kennt ihre Stärken so gut wie ihre Schwächen. Wenn ihr irgendwer dumm kommt, bleibt ihr Kreuz folglich stabil. Und ihr kommen viele dumm. Fast alle eigentlich.
So geht die Geschichte des deutsch-schwedischen Sechsteilers »The Fighter«, mit dem der ZDF-Spartenkanal Neo einen ziemlich originellen Beitrag zur weiblichen Selbstermächtigung – Empowerment genannt – leistet. Denn Lea Ferrera widerlegt darin den uralten Boxerspruch »They never come back« (Sie kehren nie zurück), und zwar nicht nur sportlich, sondern auch persönlich. Nach einer Idee von Hauptautorin Alexandra-Therese Keining steht die boxende Mutter eines kleinen Sohnes nach allerlei Rückschlägen wieder auf und gewinnt ihr erstes Duell nach zweijährigem Kampfverbot.
Wäre die Serie an der Stelle schon mehr als vier Stunden alt, käme nach genretypischem Finale nur noch der Abspann: Konfettiregen, Geigenteppich, Trallala. Sie ist hier aber nur wenige Minuten jung, und nach dem Triumph kommen erst mal Tränen. Die Korruptionspolizistin Amanda Birgmann (Jennie Silfverhjelm) ermittelt nämlich nicht nur wegen eines Manipulationsverdachts gegen die neue Europameisterin, auch sonst kehren alte Dämonen zurück in Leas Leben.
Ihr ehemaliger Agent Balthazar (Emil Almén) zum Beispiel, der die Popularität seines früheren Schützlings für ein sportlich belangloses, finanziell lukratives Showgemetzel gegen das hitzige Nachwuchstalent Janna (Erika Cardenas Hedenberg) nutzen will und sich dafür die Schwäche Dritter zunutze macht. Oder Leas Ex-Freund Adrian (Joel Spira), frisch aus der Haft entlassen und nicht nur als Vater des gemeinsamen Sohnes Rocco ein Versager, der wie ihr Trainer Sam (Ralph Carlsson) hoch verschuldet ist und somit leichte Beute fürs Halbweltgewächs Balthazar.
Während die ehrgeizige Athletin also um den WM-Gürtel kämpfen will, beginnt ein Ränkespiel vermeintlich Vertrauter um eine Athletin, die körperlich wie physisch angeschlagen ist, ärztlicherseits also besser aufhören sollte mit dem Profisport. Es ist vertrackt, nimmt in den nächsten fünf Folgen zwar zahllose Wendungen zum Guten wie zum Schlechten, zeigt abseits der biografischen Erzählung aber eindrücklich, was Frauen widerfährt, die in Männerdomänen vordringen: Mit ihrer Geraden mag Lea jede noch so massive gläserne Decke spielend zerschlagen, direkt darüber lauert garantiert schon die nächste.
Umso mehr ist es Regisseurin Andrea Östlund zu danken, dieses »Million Dollar Girl« anders als das oscarprämierte (Hilary Swank) von Clint Eastwood vor 18 Jahren nicht am destruktiven Umfeld scheitern, sondern wachsen zu lassen. Und Madeleine Martin, vermutlich nur Eingeborenen als Hauptfigur der schwedischen Serie »Riverside« bekannt, verkörpert die Sportlerin mit großer Selbstverständlichkeit. Äußerlich perfekt auf Boxerin getrimmt, strahlt die 31-Jährige das Ghetto ihrer prekären Existenz auch innerlich aus und macht den Ausbruchsversuch in jeder Sekunde authentisch.
Besser noch: Sie weiß sich dabei als Teil eines Schauspielensembles, dem Alexandra-Therese Keining trotz einiger Stereotype mehrheitlich Raum zur Entfaltung gewährt. Leas flatterhafter Freund Adrian zum Beispiel macht eine Persönlichkeitsentwicklung durch, und auch die Figur der Kommissarin Birgmann ist interessant, weil ihr Bruder Oliver selbst einst Opfer der Box-Mafia um Promoter wie Balthazar war. Diese Erzählung der involvierten, also befangenen Ermittlerin ist nicht immer ganz schlüssig. Wegen der lausigen Synchronisation ist sie auch akustisch bisweilen schwer verdaulich.
Wir sehen der Fighterin Lea über sechs Folgen à 42 Minuten dabei zu, wie sie selbst im Gleichberechtigungsmusterland Schweden oft vergebens auf Barrieren eindrischt, wie sie mit einer Mischung aus Wut und Leidenschaft und Trotz und Verzweiflung dennoch weiterkämpft. Wie sie selbst Nase an Nase mit körperlich hoch überlegenen Alpharüden das Rückgrat gerade hält – all das macht sogar ein etwas zu öliges Happy End überraschend erträglich.
Verfügbar in der ZDF-Mediathek.
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