Deutlich verlängerte Lebenserwartung

Jack Sim über den Welttoilettentag und die Bedeutung des Zugangs zu sauberen Sanitäranlagen

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.
Öffentliche Toiletten in einem Slum im indischen Delhi
Öffentliche Toiletten in einem Slum im indischen Delhi

Herr Sim, am 19. November ist wieder Welttoilettentag. Was ist dessen Bedeutung?

Interview

Jack Sim, vormals erfolgreicher Geschäfts­mann aus Singapur, gründete bereits 1998 einen lokalen Verein im Bereich Einsatz für sanitäre Anlagen. Die 2001 von ihm initiierte World Toilet Organization hat sich nach bescheidenen Anfängen inzwischen zu einem Dach für 235 Mitgliedsverbände in 58 Ländern entwickelt. 2013 griffen die Vereinten Nationen seinen vom Außen­ministerium Singapurs unterstützten Vorstoß auf und erklärten in einer Resolution den 19. November zum Welttoilettentag. Mit ihm sprach Thomas Berger.

Wir gehen täglich im Schnitt sechs- bis achtmal aufs Klo, scheuen uns aber, über dieses Thema zu sprechen. Dabei ist es zum Beispiel die Hälfte allen Abwassers, das oft unbehandelt in Seen, Flüsse und Weltmeere gelangt. Das wiederum erzeugt Krankheiten. Wenn wir sagen, es ist ein Wasserthema, reagieren die meisten Leute gleich viel offener. Wasser ist bedeutsam, aber genauso wichtig sind eben sanitäre Anlagen. Man kann das eine nicht ohne das andere sehen.

Geht es allein um gesundheitliche Fragen?

Generell geht es um Gesundheit, aber zum Beispiel auch um Bildung. Wenn eine Schule keine richtige Toilette hat, ist das schlimm. Oder nehmen Sie den Tourismus als Wirtschaftszweig: Was nützen schöne Plätze, wenn es dort nicht auch eine Toilette gibt? Gleiches gilt für das Transportwesen. Massenhaft sterben Menschen, weil sie keinen Zugang zu sauberen Sanitäranlagen haben, Krankheiten wie Cholera und schwere Durchfallerkrankungen sich ausbreiten. Oft am tödlichsten ist das für Kinder unter fünf Jahren. Die Erfindung der modernen Spültoilette samt Händewaschen war ein Meilenstein – und hat dem Menschen im Schnitt 20 Jahre mehr Lebenserwartung verschafft. Offene Defäkation wiederum ist sehr gefährlich. Insbesondere für Frauen, die besonders leicht zum Opfer sexueller Übergriffe werden, wenn sie entblößt im Freien hocken. Wir betonen immer wieder: Keine Toilette zu haben, ist gesellschaftlich teurer, als eine Toilette zu bauen.

Sie veranstalten auch den World Toilet Summit. Dieses Jahr findet dieser Gipfel in Nigeria statt. Warum gerade dort?

Weil dort 50 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberen sanitären Anlagen haben. Zugleich hat das Land einen sehr guten Wasserminister, der zu unseren wichtigen Partnern gehört. Er will die offene Defäkation landesweit zügig beenden, auch in den Schulen überall Toiletten bauen lassen. Zudem ist er begierig, zum Beispiel von China, Indien, Singapur und Japan zu lernen. Oder genauer zu erfahren, wie wir in Brasilien helfen, moderne Klärwerke zu bauen. Wir müssen uns zu Lösungsansätzen und Ideen austauschen, da wartet noch viel Arbeit. Es geht auch um das Bewusstsein, dass Toiletten ein Wirtschaftsfaktor sind – wir setzen nicht zuletzt auf produktive Menschen, die dann nicht so einfach krank werden.

Warum nimmt gerade Indien mit seinen fast 1,4 Milliarden Bewohnern so eine wichtige Rolle in den Kampagnen ein?

Weil das Thema dort besonders tabuisiert ist. Die meisten Religionen sagen ja in ihren heiligen Büchern, man solle sich sauber halten. Im Hinduismus fehlen solche direkten Bezüge. Es gibt also viel zu tun. Wir hatten in Indien 2007 ein erstes Gipfeltreffen – unter anderem war der damalige Staatspräsident Abdul Kalam dabei. Nachdem es weitere Treffen gab, wurden auch die Medien mobil – und plötzlich wurden Toiletten sogar zum Wahlkampfthema. Nach dem Machtwechsel hat der neue Premierminister Narendra Modi versprochen, 110 Millionen Toiletten neu zu errichten. Ich halte das für eine gute Entwicklung. Wenn sich mit dem Thema sogar Wahlerfolge erringen lassen, ist das eine Win-Win-Situation.

Wo gibt es noch positive Entwicklungen?

In China hat der Präsident eine Art Toiletten-Revolution ausgerufen. Selbst in kleineren Städten gibt es dort jetzt gute Toiletten, das hat mich selbst positiv überrascht. Indien und China sind da auf sehr gutem Weg. Und ich weiß, dass es selbst in Großbritannien oft schwierig sein kann, im öffentlichen Raum eine ordentliche Toilette zu finden. Wir in Singapur haben bei einer Stadtbevölkerung von 5,5 Millionen Menschen 30 000 kostenfreie Toiletten – auch für jedermann in Hotels, Shoppingcentern oder Verkehrseinrichtungen wie Bahnhöfen sind sie frei zugänglich. Die höchste Toilettenkultur hat aber Japan. Eine Toilette, lassen Sie mich das so sagen, ist ja ein Lebenspartner. Zumal ein sehr intimer, vor dem wir bei jedem Treffen die Hosen runterlassen.

Noch einmal zurück zu Indien: Im Bundesstaat Aurangabad im Westen des Subkontinents bilden Sie Toilettenreiniger aus und weiter. Was hat es damit auf sich?

Über die Jahre haben wir inzwischen 75 000 Menschen dieser Berufsgruppe trainiert und ihnen Jobs gegeben. Das Programm erstreckt sich über sechs Orte. Mit unserem World Toilet College wollen wir in immer mehr Ländern aktiv werden. Denn es geht nicht zuletzt darum, lokale Ideen aufzugreifen, um die besten Lösungen zu finden.

Sie engagieren sich nun schon so lange Zeit für dieses Thema. Was treibt Sie dabei an?

Wir haben alle nur ein Leben und das sollten wir nutzen. Jemand muss auch in diesem Fall etwas tun – und dieser Jemand bin dann eben ich. Als ich 40 war, habe ich begonnen. Jetzt bin ich 65. Vorausgesetzt, ich lebe vielleicht bis 80, habe ich noch weitere 15 Jahre, in denen ich viele andere Menschen überzeugen kann. Um noch mehr zu erreichen, brauchen wir ein wirklich internationales Team. Jeder, der einen Beitrag leisten will, ist dabei willkommen.

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