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Sicherheit versus Offenheit
Bundestagsparteien beraten über verschärfte Schutzmaßnahmen für den Berliner Reichstag
Es blieb zwar nur bei unangenehmen Belästigungen, doch der Vorfall im November 2020 zeigte, dass der sich um Transparenz und Offenheit bemühende Bundestagsbetrieb gleichzeitig auch immer einem Sicherheitsrisko ausgesetzt ist. Mittels Einladungen über die Büros von drei AfD-Abgeordneten bekamen insgesamt vier Gäste Zutritt zum Reichstag. Obwohl dabei die Regel gilt, dass Eingeladene sich nur im Beisein ihrer Gastgeber*innen durch das Gebäude bewegen dürfen, lief die Situation aus dem Ruder. Die selbsterklärten Medienaktivist*innen bedrängten und beleidigten Politiker*innen, darunter den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und den FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle. Teils wurden die Übergriffe gefilmt, Ausschnitte finden sich in den sozialen Netzwerken. Der Vorfall hatte ein parlamentarisches Nachspiel: Die AfD musste sich in einer Aktuellen Stunde rechtfertigen. Verstärkt wurden die Bedenken dadurch, weil nur wenige Monate zuvor hunderte Rechte am Rande von Protesten gegen die Corona-Politik die Treppe des Reichstagsgebäudes gestürmt hatten. Auch Anhänger*innen der Reichsbürgerszene waren daran beteiligt.
Genau diese sind seit der bundesweiten Großrazzia Anfang Dezember dafür verantwortlich, dass der Bundestag wieder einmal verstärkt über die Sicherheit von Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter*innen im Hohen Haus diskutiert. Laut Bundesanwaltschaft plante das rechte Netzwerk, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in das Reichstagsgebäude einzudringen.
Nun steht der Bundestag vor einem Dilemma: Einerseits will man möglichst Offenheit ausstrahlen, andererseits geht es um die Sicherheit der Volksvertreter*innen. Schon nach den Vorfällen 2020 waren die Vorkehrungen verschärft worden, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) kürzlich erklärte. Auf den Gängen des Reichstags zeige die Polizei seitdem verstärkt Präsenz, Gäste von Abgeordneten müssen bei der Bundestagsverwaltung angemeldet werden, sie werden überprüft und müssen eine Sicherheitsschleuse passieren. Letzteres gilt auch für Ex-Abgeordnete, die mittels eines sogenannten Ehemaligen-Ausweis weiterhin Zutritt zu allen Gebäuden des Bundestags haben.
Genau hier will die CSU künftig noch stärker differenzieren, wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor ein paar Tagen erklärte. Der Fraktion schwebt ein zweistufiges Zugangssystem zum Parlamentsgebäude vor. Es müsse unterschieden werden »zwischen all jenen, die Zugang zu den verschiedenen Bundestagsgebäuden haben, und jenen, die Zugang zum Herz der Demokratie haben, dem Reichstagsgebäude«, so Dobrindt.
Konkret hieße das: Für den Zutritt zum eigentlichen Reichstagsgebäude würden künftig andere Zugangsvorraussetzungen gelten als zu Gebäuden, in denen etwa Abgeordnete ihre Parlamentsbüros haben. Für gewählte Volksvertreter*innen dürfe es aber keine verschärften Kontrollmaßnahmen geben. »Das heißt: Nachweis der Identität ja, aber Kontrollen wie am Flughafen für Abgeordnete nein.«
Wie sich die Sicherheit weiter erhöhen ließe, darüber laufen nach Aussagen von Bas aktuell Gespräche mit den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen. In wenigen Wochen soll über konkrete Maßnahmen entschieden werden. »Meine Botschaft ist: Der Deutsche Bundestag muss ein offenes Haus bleiben«, sagt die Bundestagspräsidentin.
Zeitweise war dies in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht der Fall, insbesondere dann, wenn Geheimdienste eine erhöhte Gefahr von Terroranschlägen meldeten. 2010 etwa wurden die Kuppel des Reichstags und die Dachterasse für Besucher*innen vorübergehend gesperrt. Dauerhaft geblieben sind danach die unmittelbar vor dem Reichstag aufgestellten Container zur Kontrolle von Besucher*innen. Vorher hatte der Sicherheitscheck noch im Eingangsbereich des Reichstages stattgefunden.
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