Unterricht nach Lotusplan und Logbuch

Klax-Gesamtschule setzt auf individuelles Lernen / Besuch nur in blauen Plastiküberschuhen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Die neue Klax-Gesamtschule ist nicht sofort als Schule zu erkennen. Während die vom gleichen Träger betriebene Grundschule in der Weißenseer Langhansstraße von außen noch alle Attribute einer Schule aufweist, verbirgt sich der vor einem Jahr eingerichtete weiterführende Zweig in der vierten Etage eines Bürogebäudes in der benachbarten Neumannstraße. Das Asyl im Bürohaus ist eine Übergangslösung, bis das neue Schulgebäude errichtet ist und alle Klassenstufen bis zum Abitur dort gemeinsam Platz haben werden. Doch bereits die Übergangslösung macht staunen. Da ist zunächst die Intaktheit. Keine Graffiti sind zu bemerken, keine eingeritzten Markierungen und Botschaften auf Tischen und Stühlen. Der Teppichfußboden ist wie neu. Besucher der Schule müssen blaue Plastiküberschuhe anziehen. Kinder und Personal tragen extra Schuhe für den Innenbereich. »Eine hygienische Maßnahme. Wenn die Kinder auf dem Fußboden spielen, sollen sie nicht mit dem Schmutz der Straße in Berührung kommen«, erklärt Schulleiterin Anke Ulbricht. Auch architektonisch besticht die Schule. Sie ist gebauter Ausdruck eines Reformschulprogramms, das auf individuelles Lernen setzt. Statt einer monotonen Reihe von gleich geschnittenen Klassenzimmern sind die Räume funktional differenziert. Es gibt Fachkabinette für Musik, Kunst und Naturwissenschaften, eine Bibliothek, einen Ruheraum, um sich auch kurz während des Unterrichts entspannen zu können und eine Cafeteria, in der Lehrer und Schüler die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. Attraktion ist der Sportplatz, der auf Höhe der vierten Etage an das Gebäude angesetzt wurde. Hoch in den Lüften kann hier auch in den Pausen gekickt werden. Kernstück des Schulhauses wie auch des pädagogischen Konzepts ist jedoch das große Lernatelier. Der riesige Raum erinnert an einen Lesesaal, nur kindgerechter. Unterschiedlich gestaltete Sitzecken laden zum mal entspannten und mal konzentrierteren Arbeiten ein. Regalreihen schaffen optische und akustische Abschirmung zwischen ihnen. An einzelnen Stellen im Raum sind sogenannte Lerntheken platziert. Es handelt sich um große Pulte, in deren Inneren sich Arbeitsmaterialien für ein bestimmtes Fach befinden. Für ca. 20 Minuten versammeln die Lehrer eine Klasse um das Pult. Sie stellen ein neues Thema vor und verteilen dann die Aufgaben an die Schüler. Die ziehen sich in die Sitzgruppen zurück und widmen sich den Aufgaben. Sie können sie allein lösen, aber auch Mitschüler und Lehrer um Hilfe fragen. Auch unabhängig von diesen Instruktionen versammeln sich die Kinder im Lernatelier. Sie ziehen die Arbeitsblätter aus den Fachtheken und arbeiten selbständig. Das Prinzip der Klax-Schule liegt im offenen Lernen. Offen, aber strukturiert. »Wir betreiben Lernen mit Zielen«, erläutert Anke Ulbricht. Gleich im Eingangsbereich der Schule befindet sich der Lotusplan. Jede einzelne Lerngruppe - Schüler aus den Klassenstufen 1 und 2, 3 und 4 sowie 5 und 6 bilden solche jahrgangsübergreifenden Lerngruppen - formuliert hier für jeden Monat und jedes Fach, was sie erreichen möchte. Individuelle Ziele und die Beweise, wann und wie sie erreicht wurden, trägt jedes Kind in das sogenannte Portfolio ein. Der Sechstklässler Fritz (Name geändert) packt stolz zwei dick gefüllte Ordner auf den Tisch. Sie sind der gewichtige Beleg seines Lernens in den letzten beiden Schuljahren. »Ins Portfolio kommen Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, aber nur die zwei, drei wichtigsten pro Fach«, meint er. Es seien nicht unbedingt die, bei denen er am besten abgeschnitten, sondern die, bei denen er am meisten gelernt habe. Im Logbuch notieren die Kinder Woche für Woche, welche Aufgaben sie gelöst haben, welche Ziele noch nicht erreicht sind und wie sie selbst ihre Lernleistung einschätzen. Sie sollen es zumindest. Manches Wochenblatt indes liegt unbefleckt im Ordner. Den Lehrern scheint es nicht aufgefallen zu sein. Den Eltern auch nicht. Auf jedem Wochenblatt ist eine Rubrik vorgesehen, in denen die Eltern Beobachtungen notieren können - ein Verfahren, das zumindest in der Theorie für den Austausch zwischen Elternhaus und Schule sorgen kann. Im aktuellen Logbuch von Fritz gibt es keinen einzigen Eintrag dieser Art. Das verwundert. Es zeigt, dass selbst Eltern, die Reformschulmodellen zugeneigt sind und sich diese Neigung etwas kosten lassen (können) - Schulgeld mindestens 170 Euro monatlich - nicht jedes Kommunikationsangebot mit der Schule nutzen. Konzepte können gut sein. Umgesetzt werden sie von Menschen - was die Wirkung gelegentlich beeinträchtigt. Im letzten Schuljahr hatte die Klax-Schule mit Fluktuation im Lehrkörper zu kämpfen. »Manche Lehrer haben die Sicherheit einer festen Stelle im staatlichen Schuldienst vorgezogen«, erklärt Behra Fischer vom Klax-Trägerverein. Andere sind zu einer neu gegründeten Privatschule abgewandert. Mit ihnen einige Kinder. Der Privatschulmarkt in Berlin ist ein Haifischbecken. Wer eine neue Schule aufmachen will, braucht risikobereite Lehrer und solvente Eltern. Wo trifft man sie besser, als an bereits bestehenden Schulen? Auch Fritz wechselt in eine andere Schule. Nicht, weil er diese hier schlecht findet. Er lobt, wie sich die neuen Lehrer eingesetzt hätten. Aber er ist der Experimente müde. Seine Klasse war die erste an dieser Schule, an ihr wurde das Konzept erprobt - er kennt die Vorteile der Schulform, aber auch die Probleme, die auftreten können, wenn fehlbare Menschen ein schönes Konzept real umsetzen. Über die strukturellen Probleme der Schule sprechen der zwölfjährige Schüler, die Schulleiterin und die PR-Frau des Trägervereins offen mit dem Journalisten. Ein Zeichen für Souveränität. »Unsere Schüler werden vielleicht nicht klüger als die Kinder anderer Schulen, aber sie sind selbstbewusster und eigenständiger«, konstatiert Anke Ulbricht.

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