Bundesstraße ohne Klebstoff blockiert

Rund 200 Menschen demonstrieren in Ahrensfelde für eine Ortsumgehung

Demonstration hin zum Ortsausgang der Bundesstraße 158
Demonstration hin zum Ortsausgang der Bundesstraße 158

Auf der Bundesstraße 158 in Ahrensfelde staut sich am Samstagmorgen der Verkehr. Das ist nicht nur heute so, sondern praktisch immer so. Besonders schlimm sei es von Montag bis Freitag, wenn die Pendler früh zur Arbeit nach Berlin fahren und abends nach Hause ins Umland, aber auch am Wochenende kommen die Ausflügler mit ihren Pkw durch, erzählt Christina Emmrich. Seit 22 Jahren wohnt Emmrich in der brandenburgischen Gemeinde Ahrensfelde, die sich nördlich an Berlin-Marzahn anschließt. Früher, erinnert sich Emmrich, konnte man an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten die B158 benutzen, ohne im Stau zu stehen. Jetzt lande man praktisch immer unweigerlich im stockenden Verkehr, erzählt sie.

Die Seniorin ist Vorsitzende der Linksfraktion in der Gemeindevertretung. Im März vergangenen Jahres schrieb sie gemeinsam mit allen anderen Fraktionschefs einen offenen Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Eindringlich verlangt wurde in dem Brief eine Ortsumgehung mit einem durchgehenden Tunnel.

»Fließender Verkehr gehört heute bei moderner Planung unter die Straße«, argumentiert Gemeindevertreter Patrick Seiler nun am Samstag bei einer Kundgebung vor dem Rathaus von Ahrensfelde. Er gehört zur Fraktion der Unabhängigen, die sich ihrerseits den Freien Wählern im Land Brandenburg angeschlossen haben. Aber das sagt Seiler nicht dazu. So wie auch Christian Kusch, der die Demonstration für die Ortsumgehung angemeldet hat, auf der Bühne verschweigt, dass er für den Bürgerverein Eiche in der Gemeindevertretung sitzt. Man habe sich verabredet, dass die Partei oder Wählervereinigung der Redner heute keine Rolle spielen solle, informiert Kusch. Folgerichtig verheimlicht auch Beate Hübner ihre Partei – die CDU. Sie steht sonst zu ihrer Parteizugehörigkeit, aber heute solle die jeweilige Partei nicht genannt werden, weil es um das gemeinsame Anliegen gehe: die Ortsumgehung. Auf diese Weise erhält auch der AfD-Fraktionschef Marco Länger die Gelegenheit, ohne den Stempel AfD zu den rund 200 Versammelten zu sprechen. Er sagt zum Sachthema B158 nichts anderes als die Vertreter der demokratischen Parteien und Wählervereinigungen. Das sei nichts Besonderes, versichern Linke, die ihn kennen. Hier im Ort sei er noch nie negativ aufgefallen. Aber anderswo im Kreis Barnim habe er schon stramm rechte Reden geschwungen. Daheim gebe er den netten Nachbarn.

So darf Länger dann auch Seite an Seite mit anderen Gemeindevertretern das Fronttransparent tragen, als sich eine Demonstration über die extra von der Polizei abgesperrte B158 formiert. Es geht einmal bis zum Ortsausgang an die Berliner Stadtgrenze und zurück zum Rathaus. So blockieren die Demonstranten für etwa eine Stunde ganz legal die Straße, ohne sich an der Fahrbahn festzukleben, wie es Klimaschutzaktivisten der Letzten Generation getan hätten. Anmelder Kusch hatte es vorher augenzwinkernd angekündigt: »Niemand hat Kleber mit. Niemand klebt sich auf die Straße.«

Die Menge zieht vorbei an einer Gaststätte, die als Treffpunkt der AfD gilt. Der Wirt tritt heraus und grüßt winkend. Ein Demonstrant ruft ihm blödelnd zu: »Ich hoffe, Du machst den Arm nicht lang.« Diese Anspielung auf einen Hitlergruß wird mit wohlmeinendem Gelächter quittiert. Doch die befremdliche Szene bekommen die meisten Demonstranten nicht mit, die keinesfalls der rechten Szene zuzuordnen sind. Auch Linksfraktionschefin Emmrich ist in diesem Moment nicht in der Nähe. Sie hat auf eine Rede am Rathaus verzichtet und sich als Ordnerin zur Verfügung gestellt.

Die tägliche Blechlawine ist eine Zumutung für die Anwohner. Bereits seit 1991 fordern die Betroffenen eine Ortsumgehung der B158. Im Jahr 2011 wurde ein Planfeststellungsverfahren für eine Streckenvariante begonnen, die jedoch ebenfalls als Zumutung empfunden wird. Demnach soll sich die B158n – das n steht dabei für neu – auf der knappen Freifläche zwischen Berlin-Marzahn und Ahrensfelde hindurchzwängen und die hier so gut wie zusammengewachsenen Wohngebiete beiderseits der Landesgrenze durchschneiden. Mit 70 Kilometern pro Stunde dürften die Autos erst durch einen Trog brausen und weiter hinten auf dem Weg zum Autobahnanschluss dann auf einer mehrere Meter erhöhten Trasse auf 100 Stundenkilometer beschleunigen. Die Lärmbelastung würde trotz vorgesehener Schallschutzwände wahrscheinlich immer noch enorm sein.

Weder die Bewohner der Eigenheime in Ahrensfelde, noch die der Wohnblöcke in Marzahn halten die gewählte Variante für eine gute Lösung. Sie wehren sich dagegen. Differenzen tun sich darüber auf, was jetzt die beste Alternative wäre. Die Gemeinde Ahrensfelde verlangt einhellig, die B158n als Tunnel zu gestalten. In Marzahn-Nord setzen sie dagegen darauf, das Planfeststellungsverfahren neu aufzurollen, und wollen einen Bürgerbeirat, der sich alle möglichen Varianten noch einmal gründlich anschaut. So erläutert es Kristian Ronneburg, Verkehrsexperte der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, der aus Marzahn zur Protestaktion herübergekommen ist wie andere Marzahner auch. Ronneburg hat seine Zweifel, dass eine Ortsumgehung das Verkehrsproblem lösen würde. Die Autos würden dann dort genauso im Stau stehen, vermutet er. Bessern könnte sich die Situation zum Beispiel, wenn die S-Bahnlinie 7, die bislang auf Berliner Territorium am Bahnhof Ahrensfelde endet, nach Brandenburg hinein verlängert werden würde. Auch die Regionalzüge nach Brandenburg müssten auf dieser Strecke öfter verkehren, regt Ronneburg nicht zum ersten Mal an. Dann würden sich mehr Pendler entscheiden, das Auto stehen zu lassen. Im Moment fahren viele nach Marzahn hinein und steigen erst dort auf die Bahn um.

Bei dem von der Gemeinde Ahrensfelde gewünschten Tunnel ist die Frage, wer das bezahlen soll. Es ist eine Bundesstraße, die ins Ressort des Bundesverkehrsministers fällt. Aber der könnte die hohen Kosten scheuen. »Woher soll Brandenburg das Geld nehmen? Der Brief ist an Wissing adressiert. Aber der Bund bezahlt nicht einmal den Trog. Er wird sicher nicht den Tunnel bezahlen«, meint Kristian Ronneburg. Was so ein Tunnel kosten würde, ist unklar. Ohne ein solches Bauwerk war die Ortsumgehung einst mit 24,5 Millionen Euro eingepreist. Vor drei Jahren wurden die Kosten auf 62 Millionen Euro geschätzt. Seither explodierten die Preise für Baumaterial. Mit einem Tunnel wäre alles noch viel teurer.

Als sich die Demonstranten gegen 12 Uhr zerstreuen, baut AfD-Fraktionschef Länger die Bühne vor dem Rathaus ab.

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