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Bombenbastler mit Umsturzplänen

Prozess gegen mutmaßlichen Rechtsterroristen Marvin E. fortgesetzt

  • Joachim F. Tornau, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Erst ist ein gleißend heller Lichtschein zu sehen, dann folgen ein orangefarbener Feuerball und eine mächtige Rauchwolke, Splitter fliegen durch die Luft. Es sieht nach Krieg aus, was in Zeitlupe über die Bildschirme im Gerichtsaal flimmert. So hatte sich das Marvin E., das darf man nach mehr als 30 Verhandlungstagen vor dem Frankfurter Oberlandesgericht sagen, wohl vorgestellt. Der 21-Jährige aus dem nordhessischen Spangenberg war Fan der »Atomwaffen Division« (AWD). Die neonazistische Terrortruppe stammt aus den USA, hat aber Anhänger in aller Welt, die einen Bürgerkrieg herbeibomben wollen.

Marvin E. soll versucht haben, einen hessischen Ableger der rechten Untergrundarmee ins Leben zu rufen. Und: Er baute Bomben. Die Bundesanwaltschaft legt dem Schreinerlehrling die versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zur Last. Seit mehr als sieben Monaten wird gegen ihn vor dem Staatsschutzsenat in Frankfurt verhandelt. Die Bemühungen des Angeklagten um eine Karriere als hessischer AWD-Führer waren indes eher dilettantisch: Viel mehr als großsprecherische Chats und das liebevolle Sticken von Abzeichen scheint E. in dieser Richtung nicht zustande gebracht zu haben. Von Sprengsätzen verstand der junge Mann, der vor zwei Jahren noch für die CDU seines Heimatorts zur Kommunalwahl kandidiert hatte, offenbar umso mehr.

»Ich würde sagen: Da hat sich jemand Gedanken gemacht, wie so was herzustellen ist, und kann das auch«, befindet am Freitag der oberste Bombenentschärfer des hessischen Landeskriminalamts. Seine Kollegen vom Bundeskriminalamt haben die sechs größten von Marvin E. gebauten Sprengkörper nachgebaut und kontrolliert zur Explosion gebracht, um die Wirkung zu messen. Das Video, das im Gerichtssaal abgespielt wird, ist bei diesen Versuchen entstanden. Was da in die Luft fliegt, sind 360 Gramm Schwefel-Magnesium-Mischung, verpackt in eine 25 Zentimeter lange Pappröhre. Dieser Sprengsatz gilt den Sachverständigen noch als vergleichsweise harmloser »pyrotechnischer Gegenstand«.

Buchstäblich fatale Folgen dagegen hätte es haben können, wenn Marvin E. seine »unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen« zum Einsatz gebracht hätte. So nennen die Sprengstoffexperten die Bomben, bei denen Marvin E. den explosiven Kern auch noch mit acht Millimeter dicken Stahlkugeln als »Splitterladung« ummantelt hatte. Beim größten seiner Sprengsätze waren das mehr als zwei Kilogramm Kugeln, die sich in tödliche Geschosse hätten verwandeln können. Noch in zwei Metern Entfernung, erklärt der Kölner Rechtsmediziner Markus Rothschild, wäre ihre Wucht um ein Vielfaches größer gewesen, als nötig sei, um Knochen zu durchschlagen. »Wenn eine Kugel den Kopf träfe, wäre das wie ein Kopfschuss. Mit entsprechenden Folgen.« Aber auch bei Treffern am Oberkörper hätten lebenswichtige Organe verletzt werden können.

Marvin E. hat sich offen dazu bekannt, der Ideologie der AWD angehangen zu haben. Er schaute sich Videos von Amokläufen und rechten Anschlägen an, malte sich aus, wie er selbst eine Schule angreifen könnte – oder auch den Bundestag. Ein »politisches Zeichen« habe er setzen und so viele »Feinde« wie möglich töten wollen, sagte er: »Alles, was so Juden, Schwarze, Ausländer sind. Vielleicht auch aus dem linken Spektrum.« 

Aber, so beteuerte er, das seien bloß Gedankenspiele gewesen. Seine Bomben habe er auch nicht für einen konkreten Anschlag gebaut, sondern »auf Vorrat«, für den Tag, an dem der von der AWD ersehnte Bürgerkrieg losbrechen würde. Heute, sagte E., schäme er sich für das alles. Mit Hilfe des hessischen Aussteigerprogramms Ikarus will er den Absprung schaffen. Doch selbst vor Gericht lässt der 21-Jährige seine rassistischen und vor allem antisemitischen Ressentiments immer wieder durchscheinen. Für den Prozess sind noch Termine bis zum 8. Mai angesetzt.

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