Schnarchen: Der Traum vom ruhigen Schlaf

Nächtliches Schnarchen stört andere, weist aber nicht immer auf medizinische Probleme hin

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Übergewicht als Risikofaktor für das Schnachen ist hier klar erkennbar, aber gestört wird hier vermutlich niemand.
Übergewicht als Risikofaktor für das Schnachen ist hier klar erkennbar, aber gestört wird hier vermutlich niemand.

»Wenn ich schnarche, darf meine Frau mich rauswerfen«, berichtet der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger. Dann zieht er nachts klaglos auf eine Ersatzliege um. »Ich bin da sehr einsichtig. Man hat Verantwortung dem anderen gegenüber.« In der Tat kann Schnarchen dem Bettnachbarn den Schlaf und den letzten Nerv rauben. Mitunter entstehen Sägegeräusche von 90 Dezibel – das ist lauter als mancher Rasenmäher. Kein Wunder also, wenn viele Paare nur eine Lösung finden: nämlich in getrennten Räumen zu schlafen. Andere Wege führen selten aus dem Dilemma. Unter der Unmenge von Gerätschaften, Mittelchen und Therapien, die Hilfe versprechen, gibt es nur wenige sinnvolle. Und selbst für diese gilt: »Ganz weg geht das Schnarchen damit nicht«, wie der Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Schlafmediziner Boris Stuck von der Uniklinik Marburg sagt.

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Aber warum schnarchen Menschen überhaupt? Das liegt an der Konstruktion unserer Atemwege: »Sie ähneln einem schlaffen Schlauch, der von Gewebe umgeben ist«, erklärt Stuck. Wenn sich im Schlaf die Muskeln im Hals-Nasen-Rachen-Raum entspannen, beginnen die Weichteile an den Engstellen der Atemwege zu flattern, sodass lautstarke Vibrationen entstehen. »Übergewicht ist dabei ein wichtiger Risikofaktor, weil sich das Fett überall im Gewebe einlagert«, sagt der Experte. Wenn sich Zunge und andere Weichteile vergrößern, entstehen leichter Engpässe. Zudem wirkt sich Alkohol negativ aus, da er die Muskeln zusätzlich entspannt.

Welchen Sinn Schnarchen evolutionär hat, bleibt umstritten. Gängig ist die These, dass unsere Vorfahren sich durch die furchterregenden Geräusche gefährliche Tiere vom Leib hielten – für Stuck eine charmante, aber haltlose Theorie. Dagegen sagt er: »Wenn die Atemwege komplett starr wären, könnten sich Menschen nicht so differenziert artikulieren.« Demnach wäre Schnarchen der Preis, den wir für unsere Fähigkeit zahlen, sprechen zu können.

Selbst wenn jemand nachts röhrt wie eine Motorsäge, beeindruckt das Mediziner kaum. Solange es keine Atemaussetzer gibt, ist Schnarchen für den Betroffenen harmlos. »Es gibt keinen klaren Hinweis darauf, dass gutartiges Schnarchen mit Risiken verbunden wäre«, sagt Joachim Maurer von der Universitäts-HNO-Klinik Mannheim. Daher ist eine Behandlung aus medizinischer Sicht nicht nötig. Ihre Therapien müssen »normale« Schnarcher also in aller Regel selbst zahlen. Für manchen ist das eine recht unglückliche Situation: In seinem Buch »Die schlaflose Gesellschaft« berichtet der Schlafmediziner Hans-Günter Weeß von schnarchenden Patienten, die wegen nächtlicher Ruhestörung aus ihrer Mietwohnung geflogen sind.

Bei einem Teil der Schnarcher kommt es jedoch zu Atemaussetzern (Apnoe), die den Schlaf stören und auf Dauer gefährliche Folgen haben können – von Sekundenschlaf am Steuer über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Depressionen. »Gleichmäßiges Sägen ist meist harmlos«, sagt Boris Stuck. »Der Bettnachbar oder die Bettnachbarin sollte aber aufmerksam werden, wenn jemand unregelmäßig schnarcht und Atempausen macht.«

Die Betroffenen selbst bemerken, dass ihr Schlaf nicht erholsam ist – bei Männern kommt es zu Tagesschläfrigkeit, bei Frauen zu Durchschlafstörungen. Wer solche Symptome beobachtet, vielleicht auch schon eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und einen schwer behandelbaren Bluthochdruck hat, der sollte zum Arzt gehen, rät Stuck. Als Therapie kommt meist eine Atemmaske zum Einsatz, die die Atemwege per Überdruck offen hält. Im Vorfeld können auch Apps gute Dienste leisten. Manche zeichnen die Geräusche auf, sodass Schlafmediziner sie anschließend analysieren können. Andere werten die Geräusche mithilfe künstlicher Intelligenz aus.

Will jemand gegen harmloses Schnarchen vorgehen, raten Experten zuerst zu einer Verhaltensänderung: nämlich Übergewicht abzubauen und auf Alkohol sowie Zigaretten zu verzichten. Darüber hinaus gibt es ein gigantisches Angebot an Hilfsmitteln, die manchmal originell, manchmal bizarr wirken – etwa Kinnriemen, die den Mund geschlossen halten sollen, Pflaster, die ihn gleich ganz verkleben, oder Fingerringe, die angeblich per Akupressur die Atemwege öffnen. Die meisten dieser Mittel sind nie wirklich untersucht worden. »Überhaupt gibt es zum gesamten Thema wenig Literatur«, sagt Stuck. Ein paar Hinweise hält die Wissenschaft aber doch bereit: So können Nasenspreizer laut ärztlicher Leitlinie manchmal tatsächlich etwas bewirken – aber nur, wenn die Nase blockiert ist.

Die Ursachen fürs Schnarchen können aber auch ganz woanders liegen. So erklärt Schlafmediziner Maurer: »Manchmal sind die knöchernen Strukturen zu klein, manchmal sind Zunge, Mandeln oder Zäpfchen zu groß, und manchmal kommt einiges davon zusammen.« Viele Menschen sägen vor allem, wenn sie auf dem Rücken liegen. Dann nämlich kann die Zunge leicht nach hinten fallen und die Atemwege verengen. Mit Westen, Gürteln und Rucksäcken, die die Rückenlage verhindern sollen, lässt sich das Problem theoretisch lösen. »Sie sind aber nicht sehr bequem und werden meist nicht lange getragen«, so Maurer. Angenehmer und daher erfolgversprechender sind Schlafpositionstrainer, die vibrieren, sobald man auf dem Rücken liegt. Effektiv können auch Protrusionsschienen sein, die den Unterkiefer nach vorne schieben und für mehr Raum im Rachen sorgen. Sie sollten allerdings vom Zahnarzt angepasst werden, damit sie nicht auf Dauer Zähnen oder Kiefer schaden.

Möglicherweise bewahrt tägliches Musizieren vor nächtlichen Sägekonzerten: Singen sowie das Spielen von Blasinstrumenten könnte die Schnarcherei reduzieren. Vor Jahren sorgte eine kleine Studie aus der Schweiz für Aufsehen, wonach regelmäßiges Didgeridoo-Spielen zumindest die Schlafapnoe bessert. Abgesehen davon gibt es diverse Anti-Schnarch-Workouts, die Zunge und Gaumen kräftigen sollen. »Das ist eine maximal evidenzfreie Zone«, gibt Stuck zu bedenken. Ausnahme ist ein Zungenmuskeltraining per Elektrostimulation: Dazu nimmt man täglich 20 Minuten lang ein Gerät in den Mund, das milde Stromimpulse abgibt. So könnte das Schnarchen tatsächlich weniger werden.

Als allerletzte Option bleibt Schnarchern eine Operation. So lassen sich Engstellen beseitigen, indem das Zäpfchen minimal-invasiv verkürzt und Gewebe am Gaumen abgetragen wird. »Ich halte Eingriffe aber nur für vertretbar, wenn jemand einen wirklich großen Leidensdruck hat«, schränkt Stuck ein.

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