Abtreibungsverbot in Abchasien: Fern des gesunden Verstandes

Abchasien ist das einzige Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit einem Abtreibungsverbot – das wollen Aktivisten ändern

  • Alexandra Archipzewa
  • Lesedauer: 4 Min.
Abchasiens Parlament erhoffte sich vom Abtreibungsverbot einen Baby-Boom. Doch im Land werden immer weniger Kinder geboren.
Abchasiens Parlament erhoffte sich vom Abtreibungsverbot einen Baby-Boom. Doch im Land werden immer weniger Kinder geboren.

Vor sieben Jahren machte Abchasien einen gewaltigen gesellschaftlichen Rückschritt, als das Parlament mit großer Mehrheit das Verbot von Abtreibungen beschloss. Damit wurde die international nicht anerkannte Republik am Schwarzen Meer zum einzigen Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, in dem Schwangerschaftsabbrüche illegal sind. Die Initiatoren erhofften sich einen Baby-Boom. Doch stattdessen halbierte sich die Geburtenrate. Aktivistinnen wollen Abtreibung zumindest aus medizinischen und sozialen Gründen wieder erlauben.

Dass in Abchasien immer weniger Kinder geboren werden, hat vor allem zwei Gründe: Armut und Russland. Statt soziale Anreize für Kinder zu schaffen, lässt der Staat Familien im Stich. Und in nur drei Stunden ist man von der Hauptstadt Suchum in Sotschi. »Nach dem Abtreibungsverbot hat sich der sogenannte Abtreibungstourismus stark entwickelt«, sagt Alisa Agrba, Mitglied der Initiativgruppe »Mein Recht«, die die Kampagne zur Legalisierung der Abtreibung gestartet hat.

Zur Abtreibung nach Russland

Das Geld für eine Reise ins Ausland haben aber nicht alle. Fast die Hälfte der 240 000 Menschen in Abchasien lebt in ärmlichen dörflichen Verhältnissen. Wie viele Frauen abtreiben wollen und nicht können, weiß keiner. Laut Agrba blüht der Schwarzmarkt für Abtreibungen in der Republik. »Wir klären darüber auf, wie gefährlich das für die Gesundheit ist und dass man sein Leben nicht so leichtfertig gefährden soll. Wer sich an Illegale wendet, kommt im besten Fall mit einer heftigen Erfahrung davon. Wegen der Mittel, die sie anwenden, geht es auch manchmal tödlich aus«, sagt sie. Das bestätigen andere abchasische Aktivisten. »Unsere Klientinnen können es sich nicht leisten, für eine Abtreibung auszureisen. Einige der Verzweifelten haben eine Fehlgeburt erlitten und schreckliche Mittel getrunken, an denen sie beinahe selbst gestorben wären«, sagt Kamma Gopija, die Leiterin der Wohltätigkeitsorganisation »Kiaras«, die Familien mit vielen Kindern unterstützt.

Und es gibt Fälle, in denen Ärzte Angst haben, aus medizinischen Gründen Abtreibungen vorzunehmen, weil sie auf der Anklagebank landen könnten. Immer wieder berichten lokale Medien von tragischen Fällen. 2017 starb eine junge Frau auf dem Weg zur Grenze, nachdem ihr die Abtreibung trotz gesundheitlicher Probleme verwehrt blieb. Der Aufforderung, sich laufend von einem Arzt beobachten zu lassen, kam sie nicht nach. Bei der Geburt kam es schließlich zu Komplikationen, die sie nicht überlebte.

Nicht der erste Versuch

In der Gesellschaft werden die Probleme nicht diskutiert. Selten finden Aktivistinnen Frauen, die bereit sind, über ihre Situation zu reden und darauf aufmerksam zu machen. Und Ärzte können sich nicht äußern, weil sie im Gesundheitssystem und damit für den Staat arbeiten.

Trotzdem gab es immer wieder Versuche, das Gesetz zu ändern. Bereits 2016 kritisierte das Gesundheitsministerium das Abtreibungsverbot als »fern des gesunden Menschenverstands« und legte eine Liste mit Krankheiten vor, bei denen abgetrieben werden kann. Diese wurde aber nicht angenommen. Auch die Vorschläge der Gesellschaftskammer 2021 wurden von den Abgeordneten ignoriert.

Am 8. März 2023 schlossen sich schließlich Ärzte, Juristen und Aktivistinnen zur Kampagne »Mein Recht« zusammen. Seitdem klären sie in sozialen Medien über die Gefahren des Verbots für die Frauen auf, zeigen Filme und halten Vorträge.

Die Aktivisten wollen, dass Abtreibungen aus medizinischen und sozialen Gründen möglich werden. Zu den medizinischen Gründen bei Schwangerer und Fötus sollen infantile Zerebralparese und Anenzephalie gehören, genauso wie Eileiterschwangerschaften, aber auch das Down-Syndrom. Soziale Faktoren sollen Vergewaltigungen, Inzest, Minderjährigkeit der Schwangeren, Haftstrafen, der Entzug des Sorgerechts für andere und bereits in der Familie lebende Kinder mit Behinderungen sein.

Forderung nach vollständiger Legalisierung

»Die sozialen Parameter sind heikel, die medizinischen aber Pflicht. Viele Glauben, eine Abtreibung sei Mord. Aber ist es ethisch, ein Kind zwangsweise zu gebären, das stirbt?«, meint Agrba. In den sozialen Medien erhält die Kampagne viel Zuspruch. Manchen geht sie aber nicht weit genug. Sie fordern die Aktivisten dazu auf, sich dafür einzusetzen, eine Schwangerschaft ohne Grund beenden zu können.

»Die vollständige Legalisierung ist in unserem Land wohl nicht möglich. Darauf werden sich die Abgeordneten kaum einlassen. Aber auf diese beiden Möglichkeiten zur Abtreibung können sich viele verständigen«, meint Agrba.

Die Aktivistinnen wollen auf jeden Fall solange weitermachen, bis das Abtreibungsgesetz in ihrem Sinne geändert wird. Und es könnte wirklich klappen. Denn das aktuelle Parlament, das seit 2022 besteht, ist offener gegenüber Veränderungen als seine Vorgänger. »Wir haben mit den Abgeordneten gesprochen, sie sind geneigt, die Änderungen durchzubringen«, sagt Agrba.

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