Künstler Werner Büttner: »Der Ruhm erwärmt nicht mal das Grab«

Werner Büttner und Thomas Eller hegen in ihrem Gesprächsband keine Illusionen über die Kunst

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 6 Min.

Immerhin eines spricht für den Niedergang: Je übler es mit den Künstlern und Intellektuellen bestellt ist, desto auffälliger ragen jene heraus, die sich dem Niedergang entgegenstellen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt: Sie machen einfach, was sie ohnehin tun müssen. So ein Künstler ist Werner Büttner. In »Zuweilen ist Ehrlichkeit die eleganteste Maske« tritt er einmal mehr als Autor in Erscheinung, als der er immer noch arg unterschätzt ist. War doch einer seiner schönsten Texttitel der des »Offenen Briefs an den deutschen Pöbel« (1982 in »Sounds«).

Das Prinzip des Buchs: Der Kurator und Künstler Thomas Eller schickt Büttner E-Mails mit Fotos von dessen Gemälden, die wiederum Anstoß zu einem sich über zehn Monate erstreckenden Dialog in Textform geben. Darin geht es um Nietzsche, Faust, Familie (Büttner: »Das Thema Familie war für mich mit 16 durch.«), Reproduktionsmedizin, das Aussterben der Menschheit (Bildtitel: »Warum nicht aussterben?«), das Digitale (das »nur ein Schaumgebäck aus Einsen und Nullen zur Aufbewahrung von Wissen« ist und »beruhigenderweise der Sterblichkeit unterliegt«), Datenschutz (»Die Mehrheit der Menschen war immer gläsern, in der Höhle sowieso, im Dorf auch, in der Stadt bedingt«), »Popanzdepotenzierung«, Videokunst (»Videos sind mir meistens zu lang für das Wenige, was sie an Einfall, Pointe oder Stimmung transportieren«) sowie um die essentielle Frage, ob man der »Dummheit den Status einer Naturgewalt zubilligen« solle.

Zeiten des Niedergangs bedingen auch, dass man Büttner erst vorstellen muss. Er bildete in den 80ern zusammen mit Albert Oehlen und Martin Kippenberger den Künstlerkreis der »Jungen Wilden«, die sich gleichermaßen gegen Konservative wie Linksliberale wandten und dabei unter anderem mit Rainald Goetz und Diedrich Diederichsen aus dem Umfeld der Pop-Zeitschrift »Spex« zusammenarbeiteten.

Büttners Werk gilt, so der Titel einer Ausstellung, als »Kompromat«; 1980 richtete er mit Oehlen und Georg Herold eine »Samenbank für DDR-Flüchtlinge« ein (die vielleicht heute, in Ermangelung von nd-Lesern, wieder von Interesse sein könnte). Und dass Ironie over ist, wusste Büttner bereits 1984, also 20 Jahre bevor den distinktions-neunmalklugen deutschen Popliteraten der »Tristesse Royale« selbiger Einfall kam: »Ironie und Satire sind abzulehnen. Es sind keine fairen Methoden aufgrund der ihnen immanenten Spaltung der Welt in Empfängerhorizonte, die da mitkommen, und solche, die das bleibenlassen. Ihr Standpunkt ist angeblich erhöht und damit untauglich für die Bezeichnung feine Form.« Dies, im Buch »Schrecken der Demokratie« bekundet, hält freilich bis heute niemanden davon ab, Büttners Werk als »ironisch« zu denunzieren.

Die »feine Form« also ist der Anspruch, den Büttner an seine Kunst stellt. Das Ethos, dem er sich dabei verpflichtet sieht, stellt er seinem Essay- und Bildband »Düngeschlacht über den Fontanellen. Erziehungsversuche an Anderen und am Selbst« (2014) voran: »Wo du aber lau bist und weder kalt noch heiß, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde (Joh, 3:16).« Büttner hat das seltene Talent, seine Radikalität mit einer Behutsamkeit ins Werk zu setzen, die der Kunst nur förderlich ist.

Er mag René Magritte, weil dieser im Dreireiher in seinem Wohnzimmer malte und darauf achtete, niemals zu kleckern. In so eingerichteten Verhältnissen lässt es sich arbeiten und »gemeine Wahrheiten« (ein weiterer Katalogtitel) aussprechen. Zum Beispiel, im Gespräch mit Wolfgang Ulrich: »Es gibt kein Recht auf unverletzte Gefühle. Der Nachweis oder Beweis einer Gefühlsverletzung kann nicht gelingen, kann nur behauptet werden. Unser Rechtssystem würde willkürlich werden.« Oder ebenda: »Die von dir genannten Künstler (Goya, Ensor, Dix) haben Scheußlichkeiten und menschliche Abgründe porträtiert – Politaktivisten warnen nur belehrend unanschaulich davor und schmücken sich risikolos mit der Warnung.« »Wahrheit ist Arbeit« hieß deshalb auch ein Katalog von Büttner, Oehlen und Kippenberger.

So entfaltet sich auch im vorliegenden Korrespondenzband ein unaufgeregtes wie Wahrheit suchendes Gespräch zweier Künstler, die zu intelligent sind, um sich hinter ihren Bildern zu verstecken. Büttner weiß, die gegenwärtige Eigentumsordnung hat auch seinen Job, den »Prestigegüterproduzenten«, hervorgebracht. Dieses Wissen von der durch den kapitalistischen Markt erzeugten persönlichen Zufällig-, ja: Wurschtigkeit war seinem Werk, wie dem seiner damaligen Mitstreiter Oehlen und Kippenberger stets immanent. Es baute gerade darauf auf. Was diese »Jungen Wilden« auszeichnete und von der romantischen Selbstüberhöhung anderer Künstler unterschied, war, ihre »Wildheit« gerade nicht – wie das Wort suggeriert – als natürlich zu verklären, sondern in ihrer Gemachtheit, also: Künstlichkeit der Kunst auszubreiten. Eben das macht den Reiz ihrer Werke aus. Albert Oehlens Hitler-Porträt etwa zeugt von der Erkenntnis, dass es eben nicht um den Kunstgegenstand geht, der vom Maler »veredelt« zu werden hat, sondern dass die Gegenstände der bildenden Kunst heutzutage der Kunstbetrieb, der Markt selbst sind, dass nämlich im Liberalismus noch die Hitler-Visage im Museum hängt und vom Kunstpublikum bestaunt wird, weil »die Linienführung und Farbgebung ja einzigartig« seien.

Gerade das Wissen darüber, dass sie nicht einzigartig sind (»Jeder Künstler ist ein Mensch«, Kippenberger) – und das auch offen zuzugeben –, macht sie zu reflektierten, ja weisen Künstlern. Der weise Künstler lässt sich weder vom Markt bestimmen, noch gibt er sich der Illusion hin, er könne mit seinen Werken den Markt bestimmen oder gar überwinden. Seine Zerrissenheit und bewusste Ohnmacht nutzt er, indem er aus beidem Kunst schöpft und dabei seine Souveränität behält. Etwa indem er nicht auf einen der beiden Kunstmarkttricks – entweder du bist allmächtiges Genie und prägst eine Epoche, oder du bist der letzte Betriebsknecht und hast zu malen, was der Markt verlangt – hereinfällt. »Jedes Leben ist ein verpfuschtes Leben« (Büttner), aber dieses hier bringt wenigstens noch Wahrheiten hervor.

Die Souveränität und Coolness, die Büttners malerisches Werk ausstrahlt, findet sich auch in seinen Texten des vorliegenden Bandes wieder. Gerade das macht sie lesenswert – selbst da, wo sie irren oder zweifeln, denn Irrtum und Zweifel eines souveränen Künstlers sind selbst Teil seiner Souveränität.

»Zuweilen ist Ehrlichkeit die eleganteste Maske« ist souveräne Selbsterforschung und die Form der E-Mail-Korrespondenz triftig, weil diese gekonnt die beiden Klippen »schnelles Gespräch« und »langwierige Essayistik« umschifft und zum essayistischen Zwiegespräch wird. Die beiden Gesprächspartner hegen keine Illusionen über ihre Zunft, ihre Gedanken zu Kunstmarkt und -rezeption sind so kompakt wie hellsichtig.

Sie wissen, dass der Markt die Kunst abschafft: »Wenn wir die Turner-Preis-Nominierung als Wetterfahne des Zeitgeistes betrachten, sehen wir nur Dienstleistungen und statt Individuen nur Kollektive. Kollektive, die das dienend abarbeiten, was der zeitgenössische Diskurs als korrekte Idealziele namhaft gemacht hat.« (Büttner) Fazit: Wer dieses Buch nicht gut findet, muss sofort zum Arzt.

Werner Büttner/Thomas Eller: Zuweilen ist Ehrlichkeit die eleganteste Maske. Thomas Eller im Gespräch mit Werner Büttner. Starfruit Publications, 136 S., geb., 25€.

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