Ein Kunstwerk an der Frankfurter Stadtbrücke als Entschuldigung

In Frankfurt (Oder) will eine Installation auf den Umgang mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen aufmerksam machen

  • Peter Nowak, Frankfurt (Oder)
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stadtbrücke, die Frankfurt (Oder) mit der polnischen Nachbarstadt Słubice verbindet, ist zu allen Tageszeiten sehr belebt. Menschen passieren die Brücke in beide Richtungen. Einige sind verwundert über die Mauerstücke, die seitlich an der Uferpromenade auf der deutschen Seite die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor allem die messerscharfen Scherben am oberen Rand der Mauerstücke vermitteln ein Gefühl der Bedrohung und Angst. Sie erinnern an ähnliche Anlagen an den EU-Außengrenzen, wo sich Migrant*innen schwer verletzten, wenn sie die Barrieren überwinden wollen.

Dabei betont die polnische Künstlerin Joanna Rajkowska, dass ihre Installation ein freundliches Kunstwerk sei. Es trägt den Titel »Sorry«, den Schriftzug dieses Wortes bilden die Mauerstücke und richtet sich an die Migrant*innen, die an den Grenzen der Welt mit scherbenbewehrten Mauern an ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden.

Joanna Rajkowska erklärte in einem Interview, dass sie die unmenschliche Behandlung von Migrant*innen, die aus Belorussland über Polen in die EU gelangen wollten, zur Konzeption der Installation inspiriert hat. Sie verweist auf den Bau eines Grenzzauns, die Pushbacks, die Verzweiflung der Migrant*innen, die zum Spielball des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko und des EU-Grenzschutzes wurden. »›Sorry‹ wurde aus dem Gefühl geboren, dass wir als Gesellschaft seit dem Holocaust keinen schwierigeren Moment hinsichtlich unserer Verantwortung und Solidarität durchlebt haben«, schreibt Rajkowska. Zunächst stand das Kunstwerk im polnischen Poznan, bevor es auf Initiative von Constance Krüger und ihrem Mann René Pachmann, der an der Viadrina in Frankfurt (Oder) als katholischer Hochschulseelsorger arbeitet, zurück an das Oderufer der Stadt geholt wurde.

Es ist auf jeden Fall ein passender Ort, wie die lebhaften Diskussionen schon zur Eröffnungsfeier des Kunstwerks Ende Juni zeigten. Ein älterer Mann fragte, warum es an diesem Ort stehe, wenn doch die polnische Regierung für die Abschottung der Grenze nach Belorussland verantwortlich ist. Dabei wird nicht nur die Verantwortung der gesamten EU für die Abwehr von Geflüchteten an der Grenze zwischen Belorussland und Polen vergessen. Das Mittelmeer ist längst zum Grab von Tausenden Migrant*innen geworden. Immer wieder ziehen sich auch Migrant*innen schwere Verletzungen zu, wenn sie in den spanischen Enklaven in Marokko versuchen, die dortigen Grenzanlagen zu überwinden. Sie erleiden durch scharfe Scherben an der Spitze oft schwere Schnittverletzungen.

Das Kunstwerk steht auch deshalb genau an der richtigen Stelle, weil die Odergrenze bis zum Eintritt Polens in die EU auch tödliche Grenze des Schengenraums war. Die Zahl der Menschen, die beim Versuch, den Fluss zu überwinden, in der Oder ertranken, ist bis heute unklar. Elke Schmitt kann sich noch gut erinnern, wie 1993 Angehörige von Migrant*innen aus Asien auf der Suche nach vermissten Verwandten antirassistisch engagierte Menschen in Berlin kontaktierten. Sie fanden schließlich heraus, dass sie beim versuchten Übertritt der Oder ertrunken waren. Das war die Geburtsstunde für die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin, für die Schmitt arbeitet und die seitdem jährlich die tödlichen Folgen der deutschen Flüchtlingspolitik auflistet.

Rajkowska hat dieses Thema buchstäblich in Stein gemeißelt an die Uferpromenade der Universitätsstadt gesetzt – eine tägliche Provokation in einer Stadt, in der es einen erheblichen Anteil an AfD-Wähler*innen gibt, die die Flüchtlingspolitik noch verschärfen wollen. Am 3. Oktober soll das Kunstwerk abgebaut werden.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal