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Serie »Bad Behaviour«: Wilde weibliche Kreaturen
Die Serie »Bad Behaviour« schickt Internatsschülerinnen ins Outback, um wichtige Fragen der Selbstoptimierungsgesellschaft zu stellen
Männer, lehrt uns die Menschheit seit Anbeginn ihrer Geschichte, können grausam sein. Wie grausam Mädchen sind, wird darin zwar weit seltener sichtbar. Fernsehfiktionen wie »Yellowjackets« oder »The Wilds« legten zuletzt jedoch nah, dass sie der testosterongesteuerten Herzlosigkeit schon mal beherzt ebenbürtig sind, sofern es die Situation erlaubt. Nach Flugzeugabstürzen auf einsamen Inseln zum Beispiel. Oder bei einem Survivaltraining abseits der Zivilisation.
Dort zeigen einige Protagonistinnen der exzellenten Serie »Bad Behaviour« nämlich das, was ihr englischer Titel andeutet: Schlechtes Benehmen der übelsten Art, dessen Konsequenzen sich bereits nach zwei Minuten des vierstündigen Dramas zeigen. Auf der persönlichkeitsbildenden Exkursion eines exklusiven Internats im australischen Outback zündet sich die Außenseiterin Alice (Yerin Ha) aus schierer Verzweiflung selber an. Und wie es dazu kommen konnte, darum geht es in »Bad Behaviour«.
Dafür springt der Vierteiler zunächst mal zehn Jahre vorwärts ins Leben der gereiften Teenager. Denn ausgerechnet in jenem Konzerthaus, wo die erfolglose Schriftstellerin Joanne Mackenzie (Jana McKinnon) kellnert, tritt ihr früheres Mobbingopfer Alice auf. Kein Wunder, dass die gefeierte Cellistin nur wenig Interesse hat, das Angebot der Aushilfskraft zum gemeinsamen Kaffee anzunehmen. »Portia war schlimm«, sagt Alice über die damalige Rädelsführerin zu Joanne, »aber von allen Mädchen im Red House warst du die Schlimmste.«
Fast ein halbes Leben später ist das ein Schock für Joanne, viriles Mitglied der großstädtischen LGBTQ-Szene, das sich seinerseits als Opfer der manipulativen Portia (Markella Kavenagh) und ihrer streitlustigen Gang sah. Als die dann auch noch beim Konzert von Alice auftaucht, wird das Erinnerungswirrwarr komplett. Schließlich betrachtet keine die andere als unschuldig. Um Licht ins Durcheinander individueller Vergangenheitswahrnehmung zu bringen, wechselt die Adaption von Rebecca Starfords gleichnamigen Bestseller daher zwischen drei Zeitachsen.
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Auf der ersten skizziert Regisseurin Corrie Chen Joannes Ankunft in einer kargen Wildnis, die die verwöhnten Schülerinnen der australischen Oberschicht zwölf Monate lang Ausdauer und Demut lehren soll. Auf der zweiten begleitet sie die Neuankömmlinge beim Werdegang vom Objekt zum Subjekt einer archaischen Hackordnung, die auf einer dritten zeigt, was derartige Strukturen aus Menschen gleich welchen Geschlechts machen.
Dabei ist es ein wahrer Segen, dass von der Produzentin Amanda Higgs über ihre Autorinnen Pip Karmel und Magda Wozniak bis hin zur Komponistin des wunderbar reduzierten Soundtracks Caitlin Yeo praktisch alle Kreativen weiblich gelesen sind. So darf sich das Ensemble nicht nur außerhalb tradierter Schönheits- und Figurenbilder entfalten; es agiert auch fernab maskulin geprägter Moralvorstellungen, die Frauen noch immer gern in die Rollen Engel oder Hure stecken, ohne die Zwischenräume zu füllen.
Wie beim ähnlich weiblichen »Herr-der-Fliegen«-Ableger »Yellowjackets« über abgestürzte Fußballerinnen in Kanadas Wildnis, dürfen die ausgesetzten Schülerinnen von »Bad Behaviour« ihre Abgründe dagegen abseits klassischer Klischees ausloten und dabei auf mehrere Metaebenen vordringen. Der augenscheinliche »Zickenkrieg« alter gegen neue, starke gegen schwache, vernetzte gegen isolierte Campbewohnerinnen skizziert somit alles, was die Persönlichkeitsbildung heranwachsender Menschen mit oder ohne Smartphone, Fotoshop oder Social Media heutzutage beeinflusst und stellt dabei zeitlose Fragen.
Führt Anarchie automatisch zur Verrohung der Sitten? Liebt man jene besonders, die es nicht erwidern? Ist das Gras auf der anderen Seite wirklich grüner? Was kennzeichnet eigentlich Stärke, was Schwäche? Und ist, zurück zu Alices anfänglichem Vorwurf, Mitlaufen womöglich schlimmer als Anführen? Antworten darauf gibt es zwar keine. Aber wenn Joanne verbissen um Anerkennung der ebenso verteufelten wie vergötterten Portia kämpft und dabei deren Mittel kopiert, präsentiert sich die Selbstoptimierungsgesellschaft am Beispiel einer 15-Jährigen unterm Druck herkömmlicher Hierarchien.
Die australische Wienerin Jana McKinnon, hierzulande auch bekannt als Christiane F. im RTL-Remake der »Kinder vom Bahnhof Zoo«, braucht oft nur wenige Millimeter Mimik von Angst über Arroganz zum Zweifel, um die Gratwanderungen ihrer Generation auszudrücken. Weil man ihr dank der großartigen Maske zudem zehn Jahre Alterung abkauft, ist »Bad Behaviour« in aller Kürze von vier Teilen eines der gehaltvollsten Coming-of-Age-Formate seit Langem.
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