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Spanien: Feijóo stellt sich chancenlos zur Wahl

Chef von Spaniens Volkspartei PP ohne Aussicht auf Regierungsmehrheit im Parlament

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Alberto Núñez Feijóo spricht am Sonntag in Madrid vor seinen Anhängern.
Alberto Núñez Feijóo spricht am Sonntag in Madrid vor seinen Anhängern.

Spanien steht vor einer spannenden parlamentarischen Woche. Das Unterhaus des spanischen Parlaments nimmt am 26. September die Debatten über die Kandidatur des bisherigen konservativen Oppositionsführers Alberto Núñez Feijóo für das Amt des Ministerpräsidenten auf. Am Tag darauf soll über die Kandidatur abgestimmt werden.

Feijóos Volkspartei PP hatte die vorgezogene Parlamentswahl am 23. Juli vor den Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez gewonnen. Feijóo wurde von König Felipe VI. einen Monat später mit der Regierungsbildung beauftragt, obwohl er vorerst nicht genug Unterstützung anderer Parteien für eine regierungsfähige Mehrheit hat. Sollte die Kandidatur von Feijóo abgelehnt werden, könnte Sánchez sein Glück versuchen.

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Für seine Wahl braucht Feijóo 176 der 350 Stimmen im Kongress. In seiner Rede wird er verzweifelt um die vier ihm fehlenden Stimmen werben. Der PP-Sprecher Borja Sémper kündigte eine Rede von Feijóo an, in der er das Regierungsamt anstrebt, »um das Land umzugestalten, zu reformieren und die Idee der Einheit und Harmonie unter Spaniern zu betonen, aber nicht um jeden Preis«. Unterstützung erhält Feijóo neben den 137 Stimmen der PP nur von 33 auf Krawall gebürsteten Parlamentariern der rechtsradikalen Vox, mit der die PP in mehreren Regionen regiert. Dazu kommen zwei Stimmen von zwei kleinen Regionalparteien aus Navarra und den Kanarischen Inseln.

Da ihm zur nötigen absoluten Mehrheit von 176 Stimmen vier Stimmen fehlen, wird er bei der Abstimmung am Mittwoch durchfallen. Am Freitag erhält er eine neue Chance, dann braucht er nur mehr Ja- als Nein-Stimmen, was durch Enthaltungen theoretisch möglich wäre. Einen Präzedenzfall in Spanien auf regionaler Ebene gibt es. In Madrid wurde 2003 die Wahl des Sozialdemokraten Rafael Simancas zum Regierungschef durch zwei Sozialdemokraten verhindert, Eduardo Tamayo und María Teresa Sáez. Der Fall ging als »Tamayazo« in die Annalen ein. Damals ging aus anschließenden Neuwahlen dann die in Korruptionsskandale verwickelte PP-Regionalfürstin Esperanza Aguirre siegreich hervor, die anschließend Regierungschefin wurde.

Aguirre will einen neuen »Tamayazo« im TV-Interview »nicht ausschließen«. Dass PSOE-Parlamentarier am Mittwoch für Feijóo stimmen, schließt sie aus, auch dass sich am Freitag Sozialdemokraten enthalten, um Feijóo zum Präsidenten zu küren. Anders sei es, wenn danach der PSOE-Chef Pedro Sánchez bis November versucht, eine Mehrheit für die Fortführung seiner Regierung zu erhalten. Dann könnten sich PSOE-Abgeordnete verweigern, hofft Aguirre. Sie erklärt: »Der Sitz gehört nicht der Partei, sondern dem Abgeordneten.«

Aguirre spielt damit darauf an, dass es auch innerhalb der PSOE großen Unmut darüber gibt, dass Sánchez für seine Wahl die sieben Stimmen der Partei des katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont braucht, der liberalen »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat). Dagegen wettert auch der PSOE-Altvordere Felipe González, der von 1982 bis 1996 Regierungschef war. »Wir dürfen uns von niemandem erpressen lassen«, sagte er. Das gelte auch für »vom Aussterben bedrohte Minderheiten«. Er bestätigte damit den Eindruck vieler Katalanen, dass man die nationale Minderheit und ihre Sprache verschwinden lassen will.

JxCat stellt für eine Sánchez-Unterstützung klare Forderungen. Puigdemont fordert aus dem belgischen Exil eine Amnestie für die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum 2017. Ein Amnestiegesetz auf den Weg zu bringen, ist sogar schon Voraussetzung für die Aufnahme für Verhandlungen. Das gilt auch für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts. Ein Amnestiegesetz fordert nun auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), die in Katalonien mit JxCat um die Führung im Unabhängigkeitslager wetteifert. Sie hatte bisher Sánchez vier Jahre ohne klare Gegenleistungen unterstützt. Durchgesetzt hat JxCat schon jetzt, dass im Parlament auch Katalanisch, Galicisch und Baskisch gesprochen werden kann.

Gegen die Amnestie, gegen die nach Ansicht von hochrangigen Juristen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden ist, mobilisiert die PP die Straße. Aus ganz Spanien wurden am Sonntag Mitglieder zu einer Demonstration nach Madrid gekarrt. Nach PP-Angaben hätten 60 000 Menschen demonstriert. Die Polizei spricht sogar nur von 40 000 Menschen, die in Sprechchören immer wieder forderten, Puigdemont stattdessen in den Knast zu werfen. In Spanien gelten Großdemonstrationen unterhalb von 100 000 Menschen gemeinhin als Flop.

Der ehemalige PP-Regierungschef José María Aznar nannte die Katalanen »Putschisten« und die Amnestie »einen beispiellosen Angriff«. Dabei wurden sogar die Diktatur-Verbrechen amnestiert und damit auch die von PP-Gründern und Ex-Mitgliedern der Franco-Regierung. Für Feijóo ist dies eine »Demütigung«. Er wolle sich für eine »gleichberechtigte Demokratie« einsetzen, »auch wenn es mich die Präsidentschaft kostet«, richtete er sich vor den Demonstranten in Madrid schon auf die Rolle als Oppositionsführer ein.

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