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Serie über Supermodels: Naomi, Linda, Christy, Cindy
Die 90er waren Loveparade, Bill Clinton, bauchfreie Tops und Supermodels. Eine Doku-Serie begleitet vier davon durch 40 Jahre Selbst- und Fremdvermarktung
Was Frauen von Mädchen unterscheidet, ist ein Mix aus äußerer und innerer Adoleszenz: Geschlechtsreife, Wesen, Persönlichkeit, Verhaltensmuster, Proportionen – alles Merkmale, die ausgewachsene Frauen zwar nicht davor bewahren, dass Heidi Klum sie konsequent zu Girls verzwergt. Aber es sind ja zum Glück nicht alle Ex-Models von geistig schlichtem Zynismus wie Klum, die Marquess de Sade der Aufmerksamkeitsökonomie. Cindy Crawford zum Beispiel gehört nicht dazu.
Zu Beginn einer bemerkenswerten Doku-Serie schildert das schönste Betrachtungsobjekt der 80er mit unsichtbaren 56 Jahren im Unterhautfettgewebe den Moment, als sie vom Model zur Marke aufstieg. Und zwar wie folgt: »Die Leute sollten nicht mehr ›Oh, wer ist das Girl?‹ sa…« – sie hält kurz inne – »sorry, ich meine: ›Oh, wer ist die Frau?‹ sagen, sondern: ›Oh, das ist Cindy Crawford!‹«
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Kaum älter als ihre Kollegin aus Bergisch-Gladbach, ist sie demnach nicht nur klüger, moderner, würdevoller. Sie versteht auch etwas von Emanzipation. Selbstermächtigungsprozessen also, die die Regiseur*innen Roger Ross Williams und Larissa Bills so gefühl- wie eindrucksvoll spürbar machen. Viermal 55 Minuten begleitet das Duo neben Cindy Crawford auch Naomi Campbell, Linda Evangelista und Christy Turlington durch vier Jahrzehnte Selbstvermarktung, in denen »The Supermodels« zur Gattungsbezeichnung wurde.
Die zugehörigen Kapitel heißen »The Look«, »The Fame«, »The Power« und »The Legacy«, bezeichnen also ihren Werdegang von Mädchen mit Potenzial über Girls zum Anziehen Richtung Frauen mit Macht, bis sie buchstäblich souveräne Verwerterinnen ihrer eigenen Erbschaft wurden. Und dass dies kein geradliniger Weg war, muss man den Leuten dringend erklären. Wenngleich nicht nur, weil die Protagonistinnen alle der unteren Mittelschicht oder Provinzstädtchen, manchmal gar beidem zugleich entstammen.
Als Naomi, Linda, Christy und Cindy auf Pfaden, die wir mit reichlich Archivmaterial aus ihrer Jugend ablaufen, vom Boden bürgerlicher Biografien auf den Olymp der globalen Lifestyle-Industrie kletterten, war er noch gar nicht mit so etwas wie »Supermodels« besetzt. Bis dahin, erinnert sich Robin Givhan, Glamour-Expertin der »Washington Post«, waren Models »lebende Kleiderständer«, die Mannequins hießen und »ausschließlich männliche Vorstellungen von Schönheit« erfüllten.
Wie sich die junge Evangelista beim ersten Shooting in Japan ausziehen sollte (was sie nicht tat), während der noch jüngeren Crawford ungefragt ihr Haar abgeschnitten wurde (das sie seither lang trägt), sind aber nur Anekdoten der misogynen Herrschaft jener Tage. Wichtiger ist, was danach geschah: Denn Look plus Ruhm gleich »physische Kraft starker Frauen«, wie Cindy Crawford ihresgleichen heute beschreibt und lächelnd hinzufügt: »Wenn wir in den Spiegel sahen, haben wir es irgendwann geglaubt.«
Und das hat Berge versetzt. Denn die Riege, zu der auch die Anfang 2023 gestorbene Hamburgerin Tatjana Patiz und Karl Lagerfelds Muse Claudia Schiffer gehören, ist Anfang der 90er nicht nur zu Supermodels geworden, sondern zu Ikonen einer Branche, die plötzlich in alle anderen strahlte. Besonders dank der rätselhaften Schwarz-Weiß-Fotos von Peter Lindbergh landete das halbe Dutzend Schönheitsideale auf »Time«-Titelseiten oder bei den MTV-Music-Awards.
Im strukturell fremdbestimmten Metier wurden so Persönlichkeiten kreiert, die ihre Oberflächlichkeit selbst definieren, also eigene Regeln aufstellen. Jene etwa, dass die Mauern männlicher Macht nur fallen, wenn Frauen wie Naomi Campbell als Schwarze Pionierin einer weißen Zunft ihre Herkunft betonen und gemeinsam kämpfen. Nur weil »The Supermodels« ein Team sind, beteuern Modelegenden von Marc Jacobs bis John Galliano, haben sie mehr als die üblichen fünf Jahre im Business überlebt.
Dabei vergisst die Sky-Serie bei aller Ehrfurcht nie, wie bald der Heroin Chic blasser Size-Zero-Models um Kate Moss die heitere Weiblichkeit ihrer klassisch proportionierten Platzhirsche vom Laufsteg fegten. Und wie sie deren Schicksal im Angesicht aussterbender Hochglanzmagazine teilen. Es sind halt mittlerweile andere, noch künstlichere Zeiten, denn die gedruckter PR-Flächen für millionenschwere Supermodels à la »Vogue« sind eben vorbei.
»Heute entsteht die Magie in der Postproduktion«, beklagt Linda Evangelista den Optimierungswahn der Instagram-Kultur, »damals entstand sie, wenn es Klick machte.« Dass Digitalfotografie, Bulimie-Models und Heidi Klum keine der vier Wegbereiterinnen vollständig ins Abseits führten, macht die Serie allerdings ebenso deutlich, und zwar – obwohl bei Themen wie Schönheitsoperationen oder #MeToo natürlich Tränen fließen – fast ohne Pathos.
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