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Nordische Kombinierer kämpfen gegen die große Langeweile

Ein neues Wettkampfformat sorgt für frischen Wind und soll die Olympiazukunft der Sportart sichern

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Ramsau am Dachstein ist der perfekte Ort für die Nordischen Kombiniererinnen, um Geschichte zu schreiben. Am 18. Dezember 2020 fand hier der erste Weltcup für die Frauen statt. Drei Jahre später wurde hier nun am Samstag das erste Compact Race für die Winterzweikämpferinnen ausgetragen.

Die Premiere übertraf alle Erwartungen: Mit einem Skiverlust, Gerangel und Stürzen war es ganz sicher das spektakulärste Rennen in der für die Frauen noch jungen Sportart. Mindestens genauso wichtig war aber, dass am Ende Sportlerinnen aus acht verschiedenen Nationen unter den besten Zwölf zu finden waren. Und die Siegerin zum ersten Mal seit gut 21 Monaten (!) nicht Gyda Westvold Hansen hieß. 13 Weltcuprennen in Serie hatte die Norwegerin zuvor gewonnen, die ähnlich dominant auftritt wie ihr Landsmann Jarl Magnus Riiber bei den Männern.

Ergebnislisten mit fast immer den gleichen Siegern, langweilige Wettbewerbe, zu wenig Teilnehmernationen vor allem bei den Frauen – das waren die entscheidenden Gründe, warum Kit McConnell als Sportdirektor des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) pauschal die »mangelnde Attraktivität der Sportart« kritisiert hatte. Als Resultat verweigerte das IOC nicht nur den Kombiniererinnen die erhoffte Aufnahme ins Olympiaprogramm 2026, sondern drohte für die Winterspiele 2030 auch noch die Streichung der Männer-Wettbewerbe an.

Seitdem sind die »Könige des Wintersports«, deren Sportart seit den ersten Winterspielen 1924 in Chamonix olympisch ist, in Aufruhr. Es begann mit Protestaktionen der Sportlerinnen, die vor ihren Wettkämpfen mit gekreuzten Skistöcken in der Luft ein X formten. Es steht für »No eXception«, also »keine Ausnahme«. Denn die Nordische Kombination ist die einzige Sportart, in der es bei Winter-Olympia keine Wettbewerbe für Frauen gibt. Zum Protest kommen in dieser Saison nun konstruktive Modernisierungsideen: wiederentdeckte Wettkampfformate wie der Massenstart (erst Laufen, dann Springen) und Innovationen für die angestaubte Sportart. Das neue Compact Race hat sicher das meiste Potenzial, die große Langeweile zu beseitigen.

Im Unterschied zum »normalen Format«, bei dem im Skispringen gute Flieger wie Hansen oder Riiber uneinholbare Vorsprünge für den Langlauf herausholen können, stehen im Compact Race die Abstände für die Loipe schon vorher fest. Der Sieger erhält 6 Sekunden Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. Nach hinten werden die Abstände immer geringer, sodass das gesamte Feld innerhalb von höchstens 90 Sekunden auf die Jagd nach dem Spitzenreiter geht. Das sorgt für turbulente Szenen im Langlauf wie in der Ramsau. »Das Compact Race war ein unglaubliches Gewusel, alle waren auf einem Haufen. Erst hat vor mir eine Französin einen Ski verloren und ist dann quer durchs Feld gefahren. Dann bin ich auch noch gestürzt«, schilderte die deutsche Protagonistin Nathalie Armbruster die Premiere.

Im Ziel war der 17-jährigen Vizeweltmeisterin nach ihrem sechsten Platz »kotzübel«, während die Norwegerin Ida Marie Hagen den lang ersehnten ersten Triumph über ihre Landsfrau Hansen feierte. Auch bei den Männern musste sich Dominator Riiber, der vor dem Weltcup in Ramsau vier Siege in Serie gefeiert hatte, dem Österreicher Johannes Lamparter geschlagen geben. Johannes Rydzek wurde als bester Deutscher Vierter.

Ganz offensichtlich sorgt also das neue Wettkampfformat für frischen Wind in der Traditionssportart. Auch wenn sprungstarke Winterzweikämpfer wie Riiber nicht begeistert sind und gar von »Wettbewerbsverzerrung« sprechen. »Sehr lauflastig« sei das neue Format, so Frauen-Bundestrainer Florian Aichinger. Aber »sehr, sehr spannend auf allen Ebenen«, ergänzte Männer-Cheftrainer Eric Frenzel. Der erfolgreichste nordische Wintersportler bei Weltmeisterschaften, der bis zur vorigen Saison selbst noch aktiv war, will vor allem die Olympia-Zukunft der Traditionssportart retten. Im Januar reist er auf Einladung des IOC zu den Olympischen Jugendspielen nach Südkorea und wird dort auch Gespräche mit Chefkritiker Kit McConnell führen.

Vielleicht spricht Eric Frenzel dann auch weitere neue Wettkampfformate an, die in den Reihen der Kombinierer existieren. So zum Beispiel das Single-Mixed-Rennen wie im Biathlon. Oder die »Cross-Kombi«, eine Mischung aus Langlauf-Sprint und Ski-Cross in der Loipe. Abhängig von ihrer Leistung im Skispringen würden die Kombinierer dann auf einem hügeligen und kurvenreichen Parcours in Achter-Heats an den Start gehen. Die jeweils Besten jedes Laufes qualifizieren sich für die nächste Runde, bis nach dem Finale dann der Sieger feststeht. Spektakuläre Action und Stürze wären in so einem Format garantiert.

»Der Show-Effekt wäre groß, solch ein Rennen könnte auch jüngere Leute begeistern«, sagt Altbundestrainer Hermann Weinbuch, der jetzt für den deutschen Nachwuchs zuständig ist. Er ist für die Rettung seiner geliebten Sportart auch bereit, Abstriche bei der sportlichen Gerechtigkeit der Wettbewerbe zu machen: »Wir brauchen einfach mehr Teilnehmer, mehr Interesse, mehr Action.« So wie beim Compact Race in der Ramsau.

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