Drei Orte retten Ostfriesisch

Auch das ist Europa: In der Nähe von Oldenburg befindet sich die kleinste Sprachinsel des Kontinents – das Saterland

  • Peter Porsch
  • Lesedauer: 6 Min.

Grit Lemkes aktueller Dokumentarfilm über heutige Sorben »Bei uns heisst sie Hanka« wirft Fragen auf, die er nicht direkt, aber anschaulich beantwortet. Zum Beispiel, ob es überhaupt sinnvoll sei, solche eng begrenzten, oft mit dem Aussterben ringenden Sprachen und die sie noch tragenden Sprachgemeinschaften mit viel Mühe am Leben zu erhalten? Die Antwort des Films war eindeutig: Ja!

Im Bereich des religiös Spekulativen fällt einem dazu sicher die Geschichte vom Turmbau zu Babel ein und vielleicht auch noch die Pfingstgeschichte. Beim Turmbau strafte nach herkömmlicher Interpretation Gott die Menschen mit Vielsprachigkeit wegen ihres Frevels, den Himmel erreichen zu wollen. Zu Pfingsten konnten die Apostel, vom »Heiligen Geist« erfasst, die sprachliche Zersplitterung wieder aufheben. Doch Babylon konnte auch diese Botschaft bedeuten: Strebt nicht nach dem Himmel. Macht euch die Erde untertan und nehmt sie so wahr, wie sie euch eure Sprache geordnet übergibt. Sprache hilft euch, in eure Welt einzutreten und eure Welterfahrung lebt in dieser Sprache.

Wilhelm von Humboldt meinte, es läge »in jeder Sprache eine eigentümliche Weltansicht«, der Mensch lebe mit den Gegenständen »so, wie die Sprache sie ihm zuführt«. Die Beschäftigung mit den Sprachen kleiner Sprachinseln bestätigen das. Sprachinseln konnten in ihrer Abschottung von einer dominanten sprachlichen Umgebung oft über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende bestehen.

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Die kleinste Sprachinsel Europas ist das Saterland. Es handelt sich dabei um drei Gemeinden im Nordwesten Niedersachsens, in der Oldenburgischen Landschaft, die administrativ zum »Saterland« zusammengeschlossen sind: Ramsloh, Strücklingen, Scharrel mit Sedelsberg einem später angegliederten Ortsteil, beziehungsweise auf Saterländisch: Roomelse, Struukelje, Skäddel und Säidelsbierich. Von den etwa 15 000 Einwohnern sprechen dort Schätzungen zufolge deutlich weniger als zehn Prozent das Saterländische oder, wie sie es selbst nennen, Seeltersk; in Säidelsbierich sind es noch weniger.

Diese Sprache ist eine Varietät des Ostfriesischen, das ansonsten als ausgestorben gilt. Zu den friesischen Sprachen und ihren Varietäten gibt es im Netz und gedruckt ausführliche Dokumentationen. Das gilt auch für das Saterfriesische. Doch trotz zahlreicher Informationen zu dieser Sprache und »Eigentümlichkeiten von Land und Leuten« im Internet, ist das Saterland »auch zu heutiger Zeit noch vielen Menschen weitgehend unbekannt, selbst innerhalb des Oldenburger Raumes« – ein Zitat aus einer Informationsbroschüre der Gemeinde Saterland.

Der Göttinger Sprachwissenschaftler Dieter Stellmacher hat in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit einem studentischen Forschungsprojekt eine ausführliche Analyse der Situation des Saterländischen durchgeführt. Er konnte differenzierte Angaben zu verschiedenen Ausprägungen der Dreisprachigkeit unter der Bevölkerung machen. Zur Verfügung stehen Seeltersk, die regionale Variante des niederdeutschen Platt und Standarddeutsch. Erstaunlich auch, dass es sogar Unterschiede zwischen den drei Orten gibt, freilich ist das nur auf wenige Worte beschränkt.

Sprachliche Eigenheiten des Seeltersk gibt es aber genug. Zum Beispiel zählt man grammatisch männliche Substantive bis drei (»aan, twain, träi) anders als weibliche und sächliche («een, two, tjo»). Woher das kommt? Es war halt im Altfriesischen schon so. Man kann es so wenig kulturgeschichtlich erklären wie etwa den Plural von «Ku» (Kuh): «Bäiste», was etymologisch mit «Biestern» zu tun hat. Die örtliche Zugehörigkeit unterstreicht man durch Nennung eines Hausnamens statt des Familiennamens, eine Eigenheit, die es auch in oberbayerischen und österreichischen Dörfern gibt.

Zur Pflege von Kultur und Sprache gibt es im Saterland den «Seelter Buund», vergleichbar mit der Domowina der Sorben und seit einiger Zeit einen «Saterfriesisch Beauftragten»: den Sprachwissenschaftler Henk Wolf. Er publiziert regelmäßig zu Besonderheiten des Seeltersk und hat mit anderen eine neue Saterfriesische Grammatik und Sprachlehre erarbeitet. Außerdem – da unterscheidet sich das Saterland von keiner Sprachinsel oder Dialektgebieten – gibt es literarisches Schaffen und Übersetzungen bekannter Literatur in Seeltersk. Ähnlich wie das Sorbische gibt man das Saterfriesische in einem Kindergartenprojekt frühzeitig weiter.

Weiß man über das Sorbische in seinen zwei Varietäten (Niedersorbisch und Obersorbisch) halbwegs Bescheid, wird man Gemeinsamkeiten dieser Sprachinseln finden. Am vielleicht auffälligsten ist eine Gemeinsamkeit mit dem Obersorbischen. Das Saterland ist in seinen Traditionen und auch in der Gegenwart katholisch und das im Gegensatz zu der ausgeprägt protestantischen Umgebung in der Region Oldenburg. Der Katholizismus prägte die Gemeinden seit dem Mittelalter. Zwar brachte der Dreißigjährige Krieg eine erzwungene protestantische Reformation, der die Klöster zum Opfer fielen. Aber mit dem Westfälischen Frieden war der Katholizismus wieder in seine Dominanz eingesetzt.

Übrig geblieben ist etwas abseits im Norden der Gemeinde Strücklingen eine Johanniter Kapelle aus dem 14. Jahrhundert. Sie ist vor allem für die ortsansässigen Katholiken ein Identität stiftender Wallfahrtsort. Rund um die Kapelle ist der übliche katholische Kreuzweg zu finden. Es hängt dort ein großes und nicht ganz leichtes Kreuz. Besucher können es auf sich laden, um es an den 14 Stationen der Geschichte der Kreuzigung Christi vorbeizutragen und dann wieder abzulegen. Zu Ostern findet das von den katholischen Pfarreien organisiert statt. Überall an den Kirchen, aber auch an und in anderen baulichen Denkmalen finden sich mehrsprachige saterfriesische, sowie meist niederländische und deutsche Informationstafeln. Man lernt so auch, nur kurz vorbeikommend, erste Vokabeln des Seeltersk.

Nicht nur der Katholizismus schließt die Saterfriesen zusammen und andere eher aus, auch die Landschaft wirkte kollektivbildend. Das Saterland ist von Mooren umgeben und selbst eine Moorlandschaft. Bis in die 1950er Jahre waren die Ansiedlungen nur mit Booten zu erreichen. Erst dann begannen großflächige Trockenlegungen und in der Folge eine verkehrsmäßige Erschließung mit Straßen und Wegen. Das brachte neue Leute ins Land. Heute weiß man, dass die Trockenlegung eher ökologische Sünde war denn ökonomischer Segen. Reichtum brachte das Moor nie, jedenfalls nicht den Moorstechern und kleinen Landwirten. Als Baumaterial ernährte es eher die Händler und Bauherren: «Heeren Bifall ist Knächte Oarbeit» lautet ein saterfriesisches Sprichwort.

Völlig anders als Sorben waren Saterfriesen im Nationalsozialismus wohlgelitten. Sie galten als Friesen als hervorgehoben geprägte «Arier». Dennoch wählten im Januar 1933 die saterländischen Katholiken zu zwei Dritteln die katholische Zentrumspartei. Später wurde das von den Nazis auch im Saterland zurechtgerückt. Eine Anekdote erzählt jedoch von «twäin Seelter», die denunziert und verhaftet wurden, weil sie jemand wegen eines saterländisch geführten Gesprächs für englische Spione hielt. Dieser Irrtum wurde zwar aufgeklärt, aber irgendwie «fremd» blieben sie doch. Da ist also noch einiges zu tun.

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