Auf dem Balkon der Oberlausitz

Das mit 49 Quadratkilometern kleinste Mittelgebirge Deutschlands bietet reichlich Geschichte und Ruhe

  • André Micklitza
  • Lesedauer: 4 Min.
Eines der vielen Umgebindehäuser der Region vor dem Oybin
Eines der vielen Umgebindehäuser der Region vor dem Oybin

»Kinder, die bei mir übernachten, sollen sich auch als Erwachsene noch daran erinnern. Zu mir kommen Sechzigjährige, die als Knirpse schon hier waren.« Baudenwirt Uli Grundmann schaut mit seinem silbernen Rauschebart aus wie der Bruder Rübezahls, hat immer einen flotten Spruch auf Lager und packt für unterwegs kleine Überraschungen ins Lunchpaket.

Schon vor der Wende hatte der Mittfünfziger die »Hochwaldbaude« im Zittauer Gebirge in sein Herz geschlossen. Damals noch im Lausitzer Braunkohlenkombinat beschäftigt, entdeckte er die Herberge im Urlaub und ist nun seit 17 Jahren ihr Besitzer: »Auch gestresste Professoren von der Uni Dresden sind Stammgäste, die hier Ruhe finden und neue Kraft schöpfen.«

Steine gingen bis Russland

Tatsächlich herrscht hier oben außergewöhnliche Stille. Die Lage auf 552 Meter oberhalb der Baumwipfel ermöglicht einen weiten Rundblick: Die grünen Wälder der Lausitz, Böhmens und Schlesiens liegen dem Gipfelstürmer zu Füßen. In der Ferne funkelt der markante Fernsehturm auf dem Jeschkengipfel in der Sonne, links türmen Iser- und Riesengebirge einen dunklen Wall auf. Vulkane aus dem Tertiär scheinen im böhmischen Luzické hory noch immer zu rauchen, wenn nach einem Regenschauer Dampfschwaden aufziehen. Und in Sachsen erstreckt sich auf 49 Quadratkilometern Deutschlands kleinstes Mittelgebirge.

Internationale Berühmtheit erlangte das Zittauer Gebirge im 19. Jahrhundert, als die hier bei Jonsdorf gebrochenen Mühlsteine ein Exportgut waren und bis nach Russland und England geliefert wurden. Diese Steine besaßen, was andere nicht hatten: Der Vulkanismus im Tertiär erzeugte heiße Gase, die mit hohem Druck den Zustand des Sandsteins veränderten. Durch das Schmelzen und Anlagern von Quarzkörnern wurde das Gestein hart und porös. Aus jener Zeit stammen die Steinkränzel, die heute noch einige Häuser schmücken. Geschickte Leute meißelten sie aus Mühlsteinwellen oder -achslochabfall. Es entstand eine Feierabendkunst, die in der erzgebirgischen Holzschnitzkunst bei viel leichter zu bearbeitendem Material ihre Parallele hat. Heute streifen südlich des Kurortes Jonsdorf auf gut beschilderten Wegen geologisch interessierte Besucher durch die ehemaligen Mühlsteinbrüche, denn es gibt Klingsteingänge, einstige Lavaschlote und zwei Orgeln aus Säulensandstein zu entdecken.

Unterhalb vom Hochwald, im Kurort Oybin, erinnert der gleichnamige Sandsteinfelsen an einen versteinerten Bienenkorb. Die Ruinen der ehemaligen Burg- und Klosteranlage sind heute ein Freilichtmuseum. Die Stufen hinauf führen an der kleinen Bergkirche vorbei. Teile des Gotteshauses wurden in den Fels gehauen, der Fußboden besteht wie der Altartisch und die westliche Wand aus anstehendem Sandstein. Urlauberpfarrer Johannes Johne aus Großschönau predigt nicht nur im Gotteshaus, auch an der Klosterruine auf dem Oybin, zu Berggottesdiensten auf dem Hochwald, dem Töpferberg, auf dem Nonnenfelsen und der Lausche. In der Saison fühlt sich der Pfarrer im Kostüm als Ritter Johann, Jonsdorfer Mönch und Müllerbursche Hans wohl und führt die Gäste durch die Kurorte Oybin und Jonsdorf.

Ein sicherer Ort

Im 19. Jahrhundert, als die Romantiker den Oybin entdeckten, war der Sandsteinfels eines der beliebtesten Reiseziele in den deutschen Landen. Im 14. Jahrhundert hatte der böhmische König Karl IV. die Burg Oybin für seine Besuche verschönern lassen und stiftete ein Cölestinerkloster. Während der Hussitenraubzüge war der Berg einer der sichersten Orte im Königreich Böhmen, das damals im Norden bis Tangermünde reichte: Drei Kisten aus dem Prager Dom, prall gefüllt mit kostbaren Reliquien, wurden hier verwahrt. Die Hussiten belagerten Burg und Kloster erfolglos. Das Ende besiegelten erst die Naturgewalten. Die Chronik berichtet: »Am Sonntage Judika, war der 24. März 1577, abends 6 Uhr, da schlug bei einem heftigen Donnerwetter das Wetter ein und der Strahl zündete. Nun war es Nacht und überdies viel Schießpulver verwahrt, und auch sonst gefährlich, dass sich die Einwohner des Dorfes nicht hinauf wagten, obgleich anfänglich das Feuer mit geringer Mühe hätte gedämpft werden können ...«. Caspar David Friedrich holte sich hier Anregungen für einige später auf Leinwand gebannte Motive.

Auf dem »Balkon der Lausitz« versinkt die Sonne in einem furios gefärbten Wolkenband hinter Lausche und Jonsberg. Zwei Sonnenuntergangsgucker sind extra für dieses Schauspiel aus dem Tal herauf gekommen. Jetzt stehen sie vor der Tür der Hochwaldbaude, die eigentlich zu bleibt. Schüchtern schauen sie herein: »Das Gasthaus ist bis 18 Uhr geöffnet, es sei denn, jemand kommt später und sagt, er hat Durst«, macht ihnen Uli Mut. »Einen Schließtag gibt es bei mir nicht«. Der Gast, glücklich mit einem frisch Gezapften in der Hand: »Machen sie nie Urlaub?« Uli Grundmann: »Doch, dann gehe ich vor die Baudentüre.«

Info: Haus des Gastes Oybin, Hauptstr. 15, Tel. (035844) 733 11, www.oybin.com
Hochwaldbaude, Tel. (035844) 702 32, www.hochwaldbaude.de
Reisebuch: »Die Lausitz entdecken«, Trescher Verlag Berlin, 2. Auflage 2007, 15,95 Euro
Wanderkarten: Zittauer Gebirge, Westlicher und östlicher Teil, Rolf-Böhm-Edition, M 1: 10 000, je 8 Euro.

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