Sehenden Auges

Von Löwen und Lämmern von Robert Redford

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 5 Min.

Irgendwann ist Schluss. Irgendwann kann, wer die bezeichnenderweise Demokratiefeldzug genannte Machtdemonstration seines Landes als Tarnung für Eroberungskriege erkannt hat, nicht mehr still sein. Wenn jemand, der sein Land liebt, erleben muss, dass niemand mehr in der Welt die gehisste Nationalflagge sehen möchte. Wenn jemand, der an der Zukunft seines Landes interessiert ist, die Jugend in Oberflächlichkeit, Lethargie und politischem Desinteresse versunken findet. Wenn jemand, der politisch urteilen gelernt hat, damit konfrontiert wird, dass er die Wiederholung der Lügen und Schand-Taten in der Vergangenheit als neue Politik verkauft bekommt. Grundmuster des Verhaltens des sogenannten Durchschnittsbürgers gegenüber gefährlicher Politik sind: mitmachen, schweigen, mitmachen durch schweigen. Oder sich verantwortlich fühlen, handeln, die Stimme erheben. Robert Redford, »Der Unbestechliche«, schon lange Zeit engagierter Liberaler, hat sich für Letzteres entschieden. Mit seinem siebenten Regieprojekt, in dem er auch Produzent und Hauptdarsteller ist, getan, was ihm möglich ist. »Nie zuvor habe ich mein Land in einer derart schlechten Verfassung wie jetzt erlebt. Unser Ansehen in der Welt ist dahin«, sagt er. »Es bricht mir das Herz, mit anzusehen, wie eine einzige Administration so viel Schaden anrichten kann. Was kann ich dagegen tun? Ich kann als einziges ein Drama drehen, das den Leuten Stoff zum Nachdenken gibt.«

Die Filmstory – das Geschehen spielt an einem einzigen Tag – lieferte ihm Matthew Carnahan. Der begabte Erzähler, Jahrgang 1961, hat ein Drehbuch verfasst, dessen Dialoge, würde man sie von Anfang bis Ende in einem Zug lesen bzw. sprechen, eine flammende Anklageschrift ergeben. Sie entlarven in aller verbaler Deutlichkeit das Spiel der Bush-Administration, das sie mit der Angst der US-Amerikaner nach 9/11 treibt. Das Pamphlet ist, um die Wort- und Wortwechsellastigkeit in der Art der Hollywood-Gerichtsfilme mit einer belebteren Filmstruktur zu kompensieren, aus drei zunächst parallel laufenden Geschichten zusammengesetzt. Sie verschränken sich – allmählich wirkt ihr Rhythmus wie Rede und Gegenrede – und offenbaren den Zusammenhang, in dem die handelnden Personen miteinander stehen. Die Schauplätze sind zwei Räume eines Colleges, das Amtszimmer eines Senators, ein kleiner, eisiger Fleck Niemandsland im Hindukusch und der Stabsraum einer militärischen Einsatzzentrale. Bescheidene Mittel, im Sachlich-Kargen gehalten die Drehorte, die umkämpfte afghanische Anhöhe wirkt gar wie Kulisse.

Das Weiße Haus. Eine ältere Dame fährt in einer Limousine vor, betritt das Büro des einflussreichen Politikers Jasper Irving (Tom Cruise), wird von ihm sogleich empfangen. Janine Roth (Meryl Streep) ist eine erfahrene, angesehene Journalistin. Er, Republikaner, bietet ihr ein Exklusivinterview. Mit einer neuen Strategie wolle er dem internationalen Terror begegnen. Natürlich steht dahinter, dass er mit einem Sieg in Afghanistan dem Ansehen seiner Partei Aufschwung verschaffen will, wodurch er sich selbst als Präsidentschaftskandidat inszeniert. Er wirbt in patriotisch klingender Rhetorik, die die kritische Journalistin richtig, d.h. als gefährliche Phrasen versteht, um mediale Rückendeckung, während bereits der militärische Einsatz beginnt: Ein kleiner Trupp soll im Hochland Afghanistans landen, einen strategisch wichtigen Punkt im Hindukusch vor Wintereinbruch einnehmen. Irving: »Wir wurden angegriffen von Saddam! Da können wir nicht mit Demokratie antworten.«

Die Einblendungen der militärischen Handlungen geben der zweiten Geschichte das Bild. Die Studenten Ernest (Michael Peña) und Arian (Derek Luke), Angehörige farbiger Minderheiten in den USA, haben sich freiwillig gemeldet zum – vermeintlichen – Dienst fürs Vaterland. Wie das kam und dass er kriegerische Mittel ablehnt, das erzählt – der dritte Episodenstreifen – ihr ehemaliger Professor Dr. Stephen Malley (Robert Redford) seinem besten Studenten, Todd (Andrew Garfield). Für den seinen Lehrauftrag ernst nehmenden Geschichtsdozenten ist der intelligente junge Mann ein Hoffnungsträger, einer jener wenigen, denen er zutraut, im Leben etwas riskieren zu können: Für sein Land zu kämpfen, um es zu verändern. Doch der hat sich aus Frustation über die Scheinheiligkeit der Politiker, ihre Unfähigkeit und ihre skrupellosen Lügen, die nur ihrem persönlichen Vorteil dienen, und den Schwachsinn der praktizierten sogenannten Rechtsstaatlichkeit in vordergründiger Gleichgültigkeit und bequemem Leben eingerichtet. Der – exzellent geführte – Dialog zwischen dem Studenten und seinem Lehrer ist eine Sprechstunde in doppeltem Sinne: Robert Redford spricht direkt aus, worum es ihm in diesem Film geht: Teilnahmslosigkeit ist tödlich, »wenn sich niemand mehr für sie interessiert, können die Mächtigen machen, was sie wollen«. Seine Warnung angesichts dessen, dass die Regierung der USA die Welt in einen Krieg verwickelt, in ihrer Militärmaschinerie Menschen verheizt – »Nie habe ich solche Löwen unter dem Befehl solcher Lämmer gesehen« –, und im Gegenzug die Bildung verkümmern lasst, die Infrastruktur verfallen, und die Medien spielen das zynische Spiel mit.

»Der Film dreht sich weniger um das aktuelle Geschehen, das schwer berechenbar ist, sondern um die grundlegenden Einflüsse, die uns immer wieder in solche Situationen bringen«, betont Redford, dessen Sicht eine persönlich-emotionale ist – und eine amerikanische. Dennoch wird er als aktueller Antikriegsfilm aufgenommen werden, auch angesichts der jüngsten Ereignisse und als Warnung: »Wir brauchen den Sieg, KOSTE ES, WAS ES WOLLE«, diktiert der Senator in den Notizblock der Journalistin. Ihre Entgegnung: So war es auch in Vietnam. – Ein Film des Unbehagens an der US-amerikanischen Politik, ein Lehrfilm, der keine Antworten gibt. Als Spielfilm funktioniert er nur bedingt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal