O du verrat'nes Deutschland ...
Robert Blum in der deutschen Geschichtskultur – Zum 200. Geburtstag des Revolutionärs
Wenn es einen Mann gibt, dessen Name als Verbindung des eigenen Schicksals mit dem einer deutschen Revolution die Tradition von 1848/49 in deutschen Landen bis in die Gegenwart fortgetragen hat, dann ist es Robert Blum, dessen 200. Geburtstags am 10. November die demokratische deutsche Öffentlichkeit in diesen Tagen gedenkt. Gewiss: Nicht jeder, der den Spruch »Erschossen wie Robert Blum« kennt und nutzt, um zu bekräftigen, dass jemandes Sache endgültig verloren zu sein scheint, ist sich auch bewusst, dass er sich damit in die Tradition einer gescheiterten Revolution stellt und sie weitergibt. Und doch verkündet er damit, sicher unbeabsichtigt, dass eben diese Tradition trotz aller Versuche, sie auszutilgen, im Volke nicht verloren gegangen ist.
In der Tat hat kein Ereignis des Revolutionsjahres 1848/49 die einfachen Leute in Deutschland so tief berührt und erschüttert wie der Tod des Robert Blum am 9. November 1848 (übrigens historisch wohl der erste markante 9. November der deutschen Geschichte). An diesem Tag ließ die schwarz-gelbe Konterrevolution der Habsburger nach der Eroberung des revolutionären Wien den von der Immunität des ersten deutschen Nationalparlaments geschützten Abgeordneten nach einen Standrechtsurteil in der Brigittenau gnadenlos füsilieren. Die Arbeiter und Handwerker wie die Bauern und alle fortschrittlichen Bürger in Stadt und Land spürten und begriffen, dass einer der Ihren hingemordet worden war, ein aufrechter Demokrat, der ihre politischen und sozialen Interessen bereits seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit und nach der Märzrevolution auch im Parlament verfochten hatte. In dieser Atmosphäre entstanden spontan zahlreiche Protestlieder gegen die Schandtat der Reaktion, darunter das Lied: O du verrat'nes Deutschland,/ Wo ist dein Heiligtum?/ Erschossen ist Dein Robert,/ Dein treuer Robert Blum.«
Der am 10. November 1807 in Köln als Sohn eines Fassbinders geborene »Proletariersohn« hatte sich in schweren Jahren autodidaktisch hoch gebildet und, seit 1832 in Leipzig als Theatersekretär tätig, dank seiner umfangreichen oppositionellen, demokratischen Agitation schon im Vormärz im Volke den Ruf eines entschiedenen Demokraten erworben. Zwickau schickte ihn 1848 ins Vorparlament und Leipzig wählte ihn dann in die Frankfurter Nationalversammlung. Hier stand er an der Spitze der gemäßigten Demokratie, die sich als Fraktion »Deutscher Hof« konstituiert hatte und vermeinte, dem bürgerlich-demokratischen Fortschritt in Deutschland vor allem, ja ausschließlich auf parlamentarischem Wege zum Sieg verhelfen zu können. Doch galt er allen Linken als erster Mann; dies wohl auch deshalb, weil er der Anwendung revolutionären Drucks durch das Volk, der Gewalt »von unten« keineswegs gänzlich abgeschworen hatte, sondern als überzeugter Republikaner gleichsam als »ultima ratio« bekannte, »dass nötigenfalls auch ein Waffenkampf nicht gescheut werden dürfe«.
Als er im Oktober 1848 als offizieller Vertreter des Nationalparlaments ins revolutionäre Wien gesandt wurde, hat er sich in Konsequenz dieser Einsicht in den offenen bewaffneten Kampf der Wiener gegen die Konterrevolution eingereiht. Windischgrätz und Schwarzenberg, die beiden führenden Köpfe der österreichischen Konterrevolution, schickten ihn dafür unerbittlich in den Tod. Das Echo auf diesen politischen Meuchelmord war gewaltig: Trauerfeiern, Protestversammlungen, Gedenkgottesdienste, Geldsammlungen für die Familie, Nachrufe in Zeitungen überall in Deutschland. Robert Blum galt sofort und fortan als Märtyrer der Revolution.
Die adlig-monarchischen Sieger von 1849 und auch die Liberalen haben in den nachrevolutionären Zeiten alles unternommen, das Wirken Robert Blums vergessen zu machen. Sofern sie später seiner gedachten, dann um ihn – wie sein Sohn Hans Blum in seinen Erinnerungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – bestenfalls zu einem zahmen Dutzendliberalen umzudeuten. Die Erinnerung an den entschiedenen Demokraten Blum, an sein Schicksal wurde von denen weitergetragen, die sich als Erben der Revolution verstanden, von den Demokraten und vor allem von der entstehenden und aufstrebenden sozialistischen Arbeiterbewegung. Schon 1848 hatte Marxens »Neue Rheinische Zeitung« in Köln mit einem aufrüttelnden, von revolutionärem Hass durchdrungenen Freiligrath-Gedicht ihm eine bleibendes Denkmal gesetzt, wo es zum Schluss hieß:
»Bleib du daheim mit deinem Schmerz! Wir wahren seine Ehre.
Das Robert-Requiem sing Köln, das revolutionäre«.
Seit den 1860er Jahren entstand mit den Robert-Blum-Feiern in der Arbeiterbewegung ein Stück demokratischer Gegenkultur zum seit 1871 herrschenden Preußen- und Kaiserkult. Aber man feierte »in Robert Blum nicht die Person«, wie Wilhelm Liebknecht schrieb, »sondern die verkörperte Tradition« der Revolution. Der Berliner Demokrat Adolf Streckfuß hatte schon 1850 eine erste Lebensbeschreibung Blums vorgelegt. Wilhelm Liebknecht schuf in den 1880er Jahren mit seinem in vielen Auflagen veröffentlichten Buch über »Robert Blum und seine Zeit« eine Blum-Biographie, die dem konsequenten Demokraten die Ehre gab und weite Verbreitung unter den deutschen Arbeitern erlebte. Franz Mehring, der Historiker der deutschen Arbeiterbewegung, würdigte in Blum den Mann, mit dem »das Kleinbürgertum der bürgerlichen Revolution seinen besten Mann gestellt« hat. Die Geschichtswissenschaft der DDR hat schließlich mit Siegfried Schmidts Buch »Robert Blum. Vom Leipziger Liberalen zum Märtyrer der deutschen Demokratie« die erste umfassende wissenschaftliche Blum-Biographie geschaffen, die Größe wie Grenzen dieses Mannes überzeugend darstellte und inzwischen ihren Platz in der scientific community gefunden hat. Im Bewusstsein der Deutschen wurde Robert Blum so – neben Friedrich Hecker, der vor allem in Baden große Popularität erlangte – zum wohl bekanntesten Mann der deutschen Revolution von 1848/49. Köln, Leipzig und Wien und auch das thüringische Gotha ehrten ihn immerhin mit Robert-Blum-Straßen, nicht so dereinst Berlin-Ost wie -West, auch nicht das vereinte.
Wenn auch heute die traditionelle Geschichtsbetrachtung Robert Blum bisweilen als Kronzeugen für eine allein aufs Parlament fixierte, die Macht der Straße ablehnende, ja verabscheuende und darum einzig legitimierte deutsche achtundvierziger Demokratie auf den Schild hebt und in unüberbrückbaren Gegensatz zu den revolutionären Demokraten seiner Zeit stellt, dann sollte demokratische Traditionspflege an den Mann erinnern, der nicht nur erkannt hatte, dass gegen die adlig-monarchische Übermacht eine kampfbereite Gegenmacht »von unten« notwendig ist, wenn bürgerliche Demokratie Realität werden wollte, sondern der diese Einsicht auch zur eigenen Tat werden ließ und im bewaffneten Widerstand gegen die Konterrevolutionsein sein Leben für die Revolution und die Demokratie in die Schanze schlug.
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