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Westsahara: Normalisierung der kolonialen Besatzung
Marokko gewinnt auf diplomatischem Parkett weiter Unterstützung für die Absage an die Selbstbestimmung in der Westsahara
Marokko kommt seinem Ziel immer näher: die internationale Anerkennung seiner Politik gegenüber Westsahara. Nachdem bereits in den vergangenen Jahren die USA, Spanien und Frankreich diesen Schritt – was oftmals euphemistisch »marokkanische Souveränität über die Westsahara« genannt wird – gingen, folgte aktuell Großbritannien. Während eines Besuchs in Marokko sagte der britische Außenminister David Lammy, er halte den marokkanischen Autonomievorschlag aus dem Jahr 2007 für »die glaubwürdigste, tragfähigste und pragmatischste Grundlage« für die Beilegung des jahrzehntelangen Kampfs um das Gebiet. Dass der »Autonomievorschlag« vorsieht, dass die Westsahara autonomer Teil von Marokko statt unabhängig werden soll, dass viele Aktivist*innen und Jurist*innen durchgängig auf Menschenrechtsverletzungen gegen die sahrauische Bevölkerung hinweisen oder dass Ressourcen in der Westsahara illegal ausgebeutet werden, wird dabei geflissentlich übergangen. Erst in einem Anfang Juni veröffentlichten Bericht verurteilten acht UN-Sonderberichterstatter*innen das Agieren Marokkos im Zusammenhang von Zwangsräumungen und der Zerstörung von Häusern der sahrauischen Bevölkerung.
Enttäuschung über Großbritannien
Entsprechend deutlich fiel die Reaktion der Frente Polisario, der 1973 gegründeten sozialistischen Befreiungsorganisation, aus. Man ist enttäuscht von Großbritannien, sieht dessen Ankündigung »im Widerspruch zu der seit Langem vertretenen Position des Vereinigten Königreichs in Bezug auf die Westsahara, die seit 1963 als Entkolonialisierungsfrage auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen steht«, heißt es in einer offiziellen Mitteilung.
Aber nicht nur europäische Länder schlagen sich zunehmend auf die Seite Marokkos. Fast zeitgleich mit der britischen Ankündigung meldeten Medien, dass Kenia ebenfalls den Autonomieplan unterstützen und eine Botschaft in Rabat eröffnen will. Im Gegenzug hat Marokko in Kenia neue Investitionen in Landwirtschaft und erneuerbare Energien zugesagt. Gleichzeitig bestehen aber auch Zweifel: Denn in der offiziellen Verlautbarung des kenianischen Außenministeriums steht nichts von der Unterstützung des Autonomieplanes. Das folgt der marokkanischen PR-Strategie: Wer sich nicht explizit distanziert, wird als Unterstützer deklariert.
Spanien entlässt Westsahara in die Unabhängigkeit
Als vor fünfzig Jahren – 1975 – Spanien seine Kolonie in die Unabhängigkeit entließ, erhob Marokko Anspruch auf die Westsahara. Obwohl der Internationale Gerichtshof diesen ablehnte, schuf Marokko Tatsachen. Im November 1975 startete König Hassan den sogenannten »Grünen Marsch«, bei dem 350 000 Marokkaner*innen in das Gebiet eindrangen. Monate später wurde das Gebiet militärisch besetzt. Heute wird die Westsahara von der UN als »Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung« geführt. Die marokkanische Kontrolle des Gebiets ist völkerrechtswidrig. Seither kämpft die Frente Polisario militärisch und diplomatisch für die Unabhängigkeit der Westsahara, die heute territorial gespalten ist: Der größte Teil von circa 80 Prozent ist von Marokko okkupiert, während die Polisario die östlichen Gebiete – die »befreite Zone« – kontrolliert. Getrennt werden beide Gebiete durch einen von Marokko errichteten, rund 2700 Kilometer langen, mit Landminen bestückten Sandwall. Es ist die weltweit längste aktive militärische Mauer.
Hintergrund der jüngsten Entscheidungen sind knallharte wirtschaftliche Erwägungen. Großbritannien verspricht sich eine stärkere Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen Königreich und unterzeichnete ein entsprechendes Abkommen. Die Absichten werden offen benannt. Der britische »Guardian« zitiert Außenminister Lammy mit der Aussage, die Partnerschaften würden es »britischen Unternehmen ermöglichen, auf der größten Bühne des Fußballs zu punkten«, eine Anspielung auf die Vorbereitungen Marokkos auf die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2030 neben Spanien und Portugal. Auch die Westsahara selbst ist seit Jahren Ziel von europäischen – darunter deutschen – Investitionen. Organisationen wie Western Sahara Resource Watch decken immer wieder auf, wie deutsche Unternehmen agieren. So liefert beispielsweise Heidelberg Materials den Zement und Beton für den Bau der neuen Häfen von El Aaiún und Dakhla in der Westsahara. Das Beispiel verdeutlicht: Kapitalinteressen werden wie so oft über das Völkerrecht gestellt.
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