Um die Spaltung zu verhindern

Vor 60 Jahren: 1. Deutscher Volkskongress – Ein Zeitzeuge erinnert sich und ruft zur Wiederholung auf

  • Manfred Gerlach
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Deutsche Staatsoper im Admiralspalast war der Tagungsort.
Die Deutsche Staatsoper im Admiralspalast war der Tagungsort.

Am 6. und 7. Dezember 1947 fand der erste Deutsche Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden in Berlin stattfand. Im November des Jahres hatte sich die SED an das deutsche Volk gewandt. Zuvor hatte der Vorsitzende meiner Partei, der LDPD, Dr. Wilhelm Külz, die Bildung einer deutschen Repräsentanz allein aus Vertretern der politischen Parteien angeregt; das war am Widerstand von Kurt Schumacher (SPD) gescheitert. Auch Dr. Eugen Schiffer, Reichsminister in der Weimarer Republik, Präsident der Zentralverwaltung der Justiz in der SBZ und führender Liberaldemokrat, hatte die Schaffung einer Nationalen Repräsentanz vorgeschlagen. Trotz Verfolgung und Verbot kamen allein aus Westdeutschland 650 Delegierte.

Meine Zustimmung zu einem Volkskongress ergab sich aus prägenden Ereignissen: Als Jugendlicher hatte ich in den Kriegsjahren »Heldentod« und schwere Kriegsverletzungen vieler Kameraden erlebt. Nach Bombenangriffen auf meine Heimatstadt Leipzig hatte ich helfen müssen, die Opfer in den Trümmern zu bergen, auch die Leichen der Besatzung eines abgeschossenen USA-Bombers. Meine Ablehnung des Naziregimes wurde immer konsequenter und aktiver. Das HJ-Gericht Sachsen verurteilte mich 1944 wegen der Bildung einer illegalen Jugendorganisation zu Jugendarrest.

Mit 18 Jahren verfasste ich 1946 und 1947 als Resultat meiner Erfahrungen für mich und meine Freunde eine Studie unter der Überschrift »Gedanken zum kommenden pazifistisch-humanistischen Weltbild«. Folgerichtig nahm ich als Delegierter der FDJ, in Übereinstimmung mit meiner Partei, am 1. Volkskongress wie auch anschließend am 2. Volkskongress im März 1948 und am 3. Volkskongress im Mai 1949 teil. Ich arbeitete von 1947 bis 1949 in dieser Bewegung mit, nahm an vielen Veranstaltungen in Ost und West teil und war in Sachen der deutschen Einheit oft unterwegs. Hierbei spürte ich deutlich die wirkliche Chance für die Einheit.

Der auf dem 2. Volkskongress gewählte Deutsche Volksrat, dem ich angehörte, konstituierte sich am 7. Oktober 1949 als vorläufiges Parlament und rief die Gründung der DDR aus. Ich war nun also Abgeordneter der Volkskammer und blieb es bis zum Ende der DDR.

Welche Ziele verfolgten wir seinerzeit? Die programmatische und praktische Grundlage für die Volkskongressbewegung war das Potsdamer Abkommen, das bekanntlich in der SBZ und dann in der DDR konsequent, dagegen in der BRD gar nicht durchgeführt wurde. Für uns galt die Losung, die mit dem 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung, verknüpft ist: »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« Kampf um die Einheit Deutschlands bedeutete in jener Nachkriegsperiode Kampf um die Beseitigung der Überreste des faschistischen Regimes und seiner monopolkapitalistischen Grundlagen, bedeutete Kampf um den Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland.

Ein früher Versuch zur Einheit scheiterte: Im Juni 1947 kamen in München zum ersten und zugleich letzten Mal die Ministerpräsidenten der Länder aus ganz Deutschland zusammen. Die Ministerpräsidenten aus der sowjetischen Besatzungszone schlugen vor, als erstes über Maßnahmen zur Herstellung der politischen und wirtschaftlichen Einheit zu verhandeln. Die der CDU/CSU und der SPD angehörenden Vertreter der west- und süddeutschen Länder weigerten sich, zu dieser Grundfrage der Nation Stellung zu nehmen. Für sie war die Spaltung Deutschlands schon eine beschlossene Sache. Die Münchner Konferenz endete ergebnislos. Und im Herbst 1947 wurde endgültig deutlich, dass die Schaffung einer gesamtdeutschen Volksbewegung für die Herstellung der Einheit Deutschlands und den Abschluss eines Friedensvertrages nicht mehr verzögert werden durfte.

Die Ziele des Volkskongresses wurden nicht erreicht. Die Spaltungspolitik der Westmächte und westdeutscher Politiker verhinderte die deutsche Einheit und führte zur Bildung des Bonner Separatstaates, zur Einbindung der Bundesrepublik in die NATO und zur Remilitarisierung.

Als es schließlich 1990 zum »Tag der Einheit« kam, erfolgte dies nicht – wie im Grundgesetz vorgezeichnet – durch Vereinigung zweier gleichberechtigter deutscher Staaten, sondern durch den erzwungenen Anschluss der DDR an die BRD mit all seinen schlimmen Folgen. Zu ihnen gehört auch die Rolle des vereinten Deutschland als ein Hauptproduzent von Waffen aller Art und als Beteiligter an Aggressions- und Unterdrückungskriegen in aller Welt.

Die untergegangene DDR wird bis zum »Geht nicht mehr« verunglimpft. Neue Höhepunkte in diesem Bestreben mussten wir zum 17. Jahrestag der Herstellung der staatlichen Einheit erleben. Die herrschenden Kreise, ihre Geschichtsschreiber, ihre Medienmacher haben Grund, die DDR im Nachhinein zu verleumden. Sie wollen den Sozialismus als mögliche Alternative zu den derzeitigen Gesellschaftsverhältnissen aus dem Bewusstsein der Menschen, vor allem der Jugend, verdrängen und aus ihren Gedanken tilgen, damit er nicht noch einmal Macht auf deutschem Boden gewinnt. Vom zunehmenden Demokratie- und Sozialabbau in der BRD, gegen den sich ungezählte Bürgerinnen und Bürger wehren, soll abgelenkt werden, indem die Lügen über den Sozialismus in der DDR umso dicker aufgetragen werden.

Was ich mir wünsche? Da die Lage in Deutschland innen- und außenpolitisch in vielen Punkten mit der vor 60 Jahren vergleichbar ist, sollte im Frühjahr 2008 ein neuer Volkskongress für Einheit und Frieden stattfinden, auf dem ein Programm für die Schaffung und Gestaltung eines wirklich neuen Deutschlands erarbeitet und beschlossen wird. Zur Vorbereitung sollten sich schon jetzt alle Linken und Demokraten aus Ost und West, alle Friedenskämpfer, Umweltschützer, Repräsentanten humanitärer Vereinigungen und Gewerkschaften zusammenfinden. Das Berliner Alternative Geschichtsforum, dem ich angehöre, würde – da bin ich sicher – einen Beitrag dazu leisten.

Prof. Dr. jur. Manfred Gerlach war seit 1945 Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), seit 1954 ihr Generalsekretär, von 1967 bis 1990 Parteivorsitzender. Ab 1960 war er Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, von Dezember 1989 bis April 1990 dessen amtierender Vorsitzender.

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