Die »Suchtante« vom Augenzeugen

Elisabeth Dörffel und Hildegard Cohn – unzertrennliche und bald 80 Jahre alte Marzahnerinnen

  • Martina Krüger
  • Lesedauer: 4 Min.
Elisabeth Dörffel (links) und Hildegard Cohn
Elisabeth Dörffel (links) und Hildegard Cohn

Im Dezember 1946 erscheinen zum ersten Mal im DEFA-Augenzeugen Bilder von Kindern, die ihre Eltern suchen. Mädchen und Jungen aus Kinderheimen, die manchmal nur ihren Vornamen wussten, standen vor der Kamera in der Hoffnung, so ihre Eltern zu finden.

Eine Frau, die damals wesentlich zum Erfolg der Suchaktion beigetragen hat, ist Elisabeth Dörffel. Sie lebt heute mit ihrer Zwillingsschwester Hildegard Cohn im Kursana Domizil Landsberger Tor in Marzahn. Sie haben jeder ein Apartment, sind unabhängig und doch geborgen. Ein guter Ort um sich in Ruhe zu erinnern. Kurt Maetzig, einer der DEFA-Gründer verantwortete seinerzeit den »Augenzeugen«, und diese Kindersuchaktion soll auf eine Anregung von Erich Kästner entstanden sein. Die damals 18-jährige Elisabeth wurde die »Suchtante« des »Augenzeugen«.

Erfahrungen mit dem Film, allerdings ganz anderer Art, hatten die Zwillinge schon, denn sie lernten bei der UFA, heute würde man sagen, den Beruf der Bürokauffrau. Das war der Mädchen-Traumjob – denn welcher normale Teenager kam schon so dicht an die UFA-Stars heran, konnte sich Autogramme von Johannes Heesters, Marika Rökk und anderen persönlich geben lassen. Elisabeth saß in Babelsberg manchmal neben dem Scriptgirl und konnte so die Dreharbeiten hinter den Kulissen verfolgen.

Ihrer beider Lehre endete abrupt. Die Mädchen wurden ins Sudetenland verschickt und mussten dort ihr »Pflichtjahr« absolvieren. Hildegard blieb nach dem Weihnachtsurlaub in Berlin, Elisabeth fuhr wieder zurück und schlug sich dann in einer zwölftägigen Flucht wieder in ihre Heimatstadt durch. Oft hatte sie dabei fremde Kinder an der Hand, die ihre Eltern verloren hatten.

Nun saß sie an einer Stelle, an der sie möglicherweise helfen konnte. »In den ersten drei Wochen«, so erzählt sie, »gab es wenig Resonanz«. Doch allmählich sprach sich die Aktion herum, von Tag zu Tag kamen mehr Briefe. Sie legte sich eine Kartei an, mit Bildchen und den spärlichen Informationen, die sie hatte. Endlich meldeten sich die ersten Eltern. »Als von 100 gezeigten Kindern, 30 ihre Eltern oder Verwandten gefunden hatten, war ich sehr stolz«, sagt sie.

Nun wurden Großaktionen gestartet. Mit Kindern, Pflegeeltern und Kinderheimerziehern ging’s in den Berliner Zoo. Für die Kinder ein Erlebnis. Vor Löwen- und Ziegenkäfigen wurden sie gefilmt, stets mit einem Schild vor der Brust, auf dem meist nur spärliche Angaben standen.

Die Größeren konnten erzählen, was sie erlebt hatten – so die Brüder Reinhard und Adam Kreb. Im Winter 1944/45 verloren sie auf einem Treck zuerst den Vater und später auch noch die Mutter und die Schwestern. Im Frühjahr landeten sie in Teltow, von dort wurden sie von einem Amerikaner mit nach Berlin genommen und in ein Kinderheim gebracht. Ein Bekannter sah die Jungen im »Augenzeugen« , erzählte dies den Eltern, die sich inzwischen gefunden hatten und in Bayern wohnten. Die Familienzusammenführung war dann nur noch eine Sache von wenigen Stunden.

Diese Aktion machte auch Elisabeth Dörffel, die »Suchtante«, kurzzeitig fast weltberühmt. Der amerikanische »Observer« und die englische »Picture Post« berichteten mehrseitig über sie. Natürlich hat sie diese Ausgaben noch in ihren Unterlagen, ebenso wie die Belobigung für die Vermittlung von 100 Kindern. Insgesamt fanden 400 Kinder ihre Eltern durch den »Augenzeugen« wieder.

Noch heute ist Elisabeth ein wenig traurig darüber, dass 1949 die Aktion des »Augenzeugen« eingestellt wurde und die Unterlagen an den Suchdienst für vermisste Deutsche übergeben wurden. Nach dieser aufregenden Zeit bekam sie selbst Kinder und arbeitete in anderen Betrieben als Sekretärin, ebenso ihre Zwillingsschwester.

Beide blieben sich immer nah, wohnten mit ihren Männern in der gleichen Gegend in Prenzlauer Berg, später in Hellersdorf, und sie hatten ein gemeinsames Wassergrundstück in Grünau, das sie nach der Wende an einen Alteigentümer verloren. Als die Männer gestorben waren, beschlossen sie, ihren Lebensabend gemeinsam zu verbringen, tragen wieder die gleichen Sachen und sind unzertrennliche, agile – zweimal in der Woche Sport – liebenswürdige Damen. Im Februar werden sie ihren 80. Geburtstag feiern.

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