Experiment mit Folgen

Wolfgang Engel inszeniert in Chemnitz Mozarts »Cosi fan tutte«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende gibt es natürlich in Chemnitz auch bei Wolfgang Engels Cosi fan tutte nicht das aufgesetzte lieto fine. Anstelle dieses Schwamm-drüber mit dem moralischen Zeigefinger steht die große Verunsicherung. Da folgt der Leipziger Schauspielchef bei seinem erneuten Ausflug in die Oper dann doch mehr Mozarts Musik als DaPontes Text. Da weiß dann keiner mehr, was er von den Gefühlen des Anderen und wohl auch von den eigenen halten soll, denn keiner findet wieder zurück in die ursprüngliche, alte Partnerschaft. Den Mut, neue Beziehungen einzugehen, haben sie aber auch nicht. Don Alfonsos Kurs in der Schule der Liebenden hat so sein deklariertes Ziel erreicht, den beiden jungen Männern, Einsichten in die begrenzte Haltbarkeit der Liebesschwüre von Frauen zu vermitteln. Er behält sozusagen Recht, aber der Beziehungskolateralschaden ist hoch. Das Experiment endet hier in einem persönlichen Desaster für alle Beteiligten. Am Ende verschwinden Fiordiligi, Guglielmo, Ferrando und Dorabella, jeder für sich allein, jeder in eine andere Richtung.

Von diesem Ende her betrachtet, macht die Verkleidungs- und Betrugskomödie, die man vorher gesehen hat, durchaus Sinn. Doch eigentlich geht es um mehr. Kaum eine Komödie vom Range dieser Mozartoper balanciert (ohne, dass es gleich um Mord und Totschlag geht) so dicht am Abgrund der menschlichen Natur. Und bei kaum einer wird nicht nur diese Gefahr von ihrem Ende her erst klar und szenische Parteinahme unumgänglich. Bewegt man sich nämlich einfach am Buchstaben des Textes entlang, und lässt am Ende tatsächlich die Erkenntnis stehen, dass die Frauen von Natur aus untreuer sind, als die Männer, dann wäre das ein patriarchalischer Kalauer, der den Menschen- und Seelenkenner Mozart unterschätzt. Bei ihm geht es nämlich überhaupt um die Möglichkeit von Irritation und Verunsicherung der Gefühle bei Liebenden, also bei Frauen und Männern.

Bei der italienischen Version des Titels (so machen es alle) geht es um ein (die Männer einschließendes) cosi fan tutti und eben nicht nur um ein (auf die Frauen gemünztes) cosi fan tutte. Seine Zeitgenossen und das folgende 19. Jahrhundert hatte nicht viel am Hut mit diesem wohl am weitesten vorausgreifendstes Werk des Salzburger Genies. Da es aber ohnehin für uns heute, also für eine halbwegs emanzipierte Gesellschaft gemacht ist, entwertet Neutralität die Brisanz hinter der witzigen Oberfläche, die ja selbst in dieser Gestalt immer noch ein ziemlich zynisches Experiment bleibt.

Engel belässt die Frauen fast bis zum Ende in der Rolle der beobachteten und manipulierten Objekte, die dann, als die Sache auffliegt und sie vorgeführt werden, nicht mal sonderlich empört sind. Vor allem aber billigt er den Männern über ihr übles Spiel hinaus kein wirkliches Aufflammen von Gefühl und inneres Abrücken vom Experiment zu. Was vom Inneren der Musik her tatsächlich zur Operation am offenen Herzen aufgeladen werden könnte (und müsste), geht so nicht über einen Erste-Hilfe-Einsatz hinaus. Die desolate Herrenklubwelt, die Andreas Jander mit Billardtischen, abgestürztem Prachtkronleuchter zwischen zerstörte Fensterfrontkulissen gebaut hat, bleibt Behauptung, so wie die Kanonenbooteinspielung und diffus moderne Uniformierung Illustration (Kostüme: Caritas de Witt).

Diese Zeit und ihre Implikationen werden nicht wirklich erspielt. Das Ganze bleibt überwiegend eine zwischen eher hübsch brav und in Despinas Dunstkreis auch mal betont kokette Geschichte der Verstellung. Was Engel vorführt, das hätte man genauso gut auch in Kostümen der Mozartzeit oder völlig neutral spielen können. Leider wird diese eher matte szenische Lösung in Chemnitz diesmal auch nicht durch musikalische Verbindlichkeit kompensiert.

Unter Domonkos Héja bleibt diesmal die Robert-Schumann-Philharmonie fast zaghaft, auf einen pastellnen Ton gestimmt, ohne es wirklich lodern zu lassen. Wenigstens bei den Protagonisten haben die Damen Oberwasser, auch wenn man sie in dieser nicht übertitelten deutschen Version am wenigsten wirklich versteht. Allen voran Jana Büchner, die ihre Despina nicht nur mit darstellerischer Präsenz, sondern auch mit stimmlicher Durchsetzungskraft versieht. Und auch Judith Kuhn und Tiina Penttinen bestehen, als Fiordiligi und Dorabella überzeugender als André Riemer und Andreas Kindschuh in der Rolle ihrer echten oder vermeintlichen Liebhaber Ferrando und Guglielmo oder gar Andreas Mitschke als Spielmacher Don Alfonso.

Das Publikum in Chemnitz war zufrieden, auch wenn ihm diesmal musikalisch und szenisch von Mozarts brisanter Gefühlsstudie Cosi fan tutte mehr vorenthalten, als geboten wurde.

Nächste Vorstellungen: 29. 12. , 6. 1.; www.theater-chemnitz.de

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