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Klinkenputzer gegen Sonnenkönig

SPD-Herausforderer Naumann hat gegen CDU-Amtsinhaberr von Beust einen schweren Stand

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters von 66 Jahren legt Michael Naumann ein Tempo vor wie weiland die Rennmaus Speedy Gonzales. Billstedt, Stellingen, Wilhelmsburg, Lokstedt – im Sauseschritt eilt der SPD-Bürgermeisterkandidat seit seiner Nominierung im Frühjahr 2007 durch die Hamburger Stadtteile, um seinen Bekanntheitsgrad im Plausch mit den Bürgern vor Ort zu erhöhen. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr – am 24. Februar wird in der Hansestadt ein neues Länderparlament, die Bürgerschaft, gewählt.
Hamburger Wahlkämpfer: von Beust und Naumann Fotos: dpa
Hamburger Wahlkämpfer: von Beust und Naumann Fotos: dpa

Seit sechs Jahren schwingt an Alster und Elbe ein beim Volk beliebter Sonnenkönig das Zepter: der seit 2004 allein regierende Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Während der von allen Seiten hofierte Amtsinhaber in diesen Tagen von Neujahrsempfang zu Neujahrsempfang schreitet, darunter ein Abstecher ins Schloss Bellevue zum Bundespräsidenten, putzt Naumann an der Basis Klinken.

Kürzlich schaute sich der Kandidat im begehrten Wohnquartier Eimsbüttel um. Dort klagt eine Aktionsgemeinschaft über Leerstand bei zu hohen Mieten, die von den Geschäftsleuten nicht bezahlt werden können. Aber auch Naumann kann dem Vorsitzenden der AG, dem Optiker Karsten Maas, keine Hoffnung auf Besserung machen: Die Eigentümer der Immobilien sind in der Mehrzahl geldgierige Erbengemeinschaften. Nachdem Naumann höflich gefragt hat, welche Brille Maas empfiehlt, steuert der ehemalige Verlagschef von Rowohlt auf den selbstverwalteten Buchladen Osterstraße zu, um mit Anteilseigner und FC-St.-Pauli-Fan Torsten Meinicke eine Halbzeitpause lang über Fußball zu parlieren – »auf hohem Niveau«, wie Experte Meinicke resümiert. Naumann blättert interessiert im Fußball Lexikon Hamburg, nennt zwei, drei Namen ehemaliger Fußballgrößen und lobt, nachdem er die entsprechenden Einträge gefunden hat: »Gutes Werk«. Gekauft hat er das Buch ebenso wenig wie die dort immer noch präsentierten Klassiker des Marxismus, die er leicht amüsiert mit »Ah, die guten alten Werke« quittiert. Naumann entscheidet sich für ein Buch zur Hamburger Lokalpolitik. Dann geht's weiter zum Tierpark. Einen Knut, in dessen Popularität sich der Kandidat sonnen kann, gibt es hier nicht.

Während Naumann durch den Großstadtdschungel tingelt und seiner potenziellen Wählerschaft verspricht, das mit sozialen Wohltaten vollgestopfte Füllhorn weit zu öffnen (Abschaffung der Studiengebühren, kostenlose Kitas, Abschaffung des Büchergeldes, Schaffung bezahlbaren Wohnraums, verbindliche Volksentscheide), darf er sich über zuletzt deutlich verbesserte Unfragewerte freuen. Die SPD legte von 30 Prozent im Sommer auf 35 Prozent bei leichten Verlusten der CDU (von 44 auf 40 Prozent) zu. Rot-Grün scheint wieder möglich – wenn Linkspartei und die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Und immerhin schon 82 Prozent der Hamburger kennen den guten Menschen von der Hamburger SPD, der ihnen an fast allen Ausfallstraßen mit einem roten Kaffeepott in der Hand von Plakaten freundlich entgegenlächelt. Wahlspruch: »Mein Hamburg wächst für alle.«

Auch Amtsinhaber Ole von Beust redet in der Heimat der sprichwörtlich gewordenen Pfeffersäcke gern von Wachstum, hat dabei aber eher den Hafen und die Wirtschaft im Sinn. Plakate mit dem Konterfei des Bürgermeisters sucht man im Stadtbild bisher vergebens, auch vor Ort zeigt sich von Beust den Bürgern nur ausnahmsweise. Einmal schmückte der »Onkel Ole« mit 80 Kindern den Weihnachtsbaum im Billstedt Center, und Neujahr schüttelte er – das hat in Hamburg seit dem 18. Jahrhundert Tradition – 700 Bürgern im Rathaus unter den Klängen des vom Blasorchester der Polizei intonierten Hammonia-Liedes die Hand.

PR-Künstler Ole von Beust (Wahlspruch: »Ole statt Kuddelmuddel«) zehrt indessen von seinem offenen, ungekünstelten Auftreten und dem Amtsbonus. Bei einer Umfrage des Psephos-Instituts erreicht er – auf einer Skala von plus fünf bis minus fünf – einen Sympathiewert von 2,0 (Naumann: 1,1) und hat auch sonst meist die Nase deutlich vorn. In puncto Durchsetzungsfähigkeit, Führungsstärke, Wirtschaftskompetenz, Reformfreudigkeit, Liberalität, Toleranz, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit distanzierte er Naumann zum Teil deutlich. Der Herausforderer führte nur beim Thema »Soziale Gerechtigkeit«. Fazit: Der grau melierte Speedy muss sein Tempo beim Sprint durch die Stadtteile auf den letzten Metern noch mal erhöhen.

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