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Die Maschine läuft nicht mehr auf Hochtouren

Der Rückzug Fidel Castros trifft die kubanische Bevölkerung nicht unerwartet

  • Leo Burghardt, Havanna
  • Lesedauer: 3 Min.
Am kommenden Sonntag tritt das neugewählte kubanische Parlament zusammen. Eine Entscheidung ist schon gefallen: Fidel Castro steht für das Amt des Staatspräsidenten nicht mehr zur Verfügung.

Fidel Castros Rückzugserklärung ließ viele Tränen in Kuba fließen. Dabei hat er sich ausdrücklich nicht verabschiedet: »Ich verabschiede mich nicht von euch. Ich werde als Soldat der Ideen weiterkämpfen. Ich werde meine Kolumne unter dem Titel ›Reflexionen des Genossen Fidel‹ weiter schreiben. Vielleicht wird meiner Stimme Gehör geschenkt.« Und dann etwas rätselhaft der Schluss: »Ich werde bedachtsam sein. Danke.«

Der Entschluss des künftig als Compañero (Genosse) statt Comandante en Jefe (Oberkommandant) firmierenden Fidel kam nicht überraschend. Allein der Zeitpunkt war sein Geheimnis geblieben. In seinen mehr als 70 Artikeln für die Medien hatte er in letzter Zeit immer wieder diskret darauf angespielt, dass »die Maschine«, also er, 81 Jahre alt ist und nicht mehr auf Höchstleistung getrimmt werden kann. Und bis zuletzt empfing er seine wenigen Gäste in Sportkleidung, in der er sich auch ablichten ließ.

Die Kubaner waren vorbereitet. Wie sie auch vorbereitet sind, dass Raúl Castro laut Verfassungsparagraf 94 nun vollständig aus dem Status des Provisorischen nachrücken wird. Das letzte Wort wird allerdings am kommenden Sonntag im Parlament gesprochen. Dann steht die Wahl für die kommende Legislaturperiode an: Bestimmt werden der Staatsrat und sein Präsident, der zugleich Ministerpräsident und Oberbefehlshaber der bewaffneten Kräfte ist.

Es ist kaum vorstellbar, dass der erfolgreiche Verteidigungsminister Raúl Castro, dessen Institution nicht nur nach Meinung der Kubaner die einzig hundertprozentig funktionierende ist, die schwer übersichtliche Ämterfülle seines Bruders übernimmt. Das hat er schon seit Monaten angedeutet. Wo vorher, worum es sich auch immer handelte, Einweihungen, Symposien, Messen, Auszeichnungen, Erntefeste, Kulturveranstaltungen, Betriebsbesichtigungen oder internationale Gipfeltreffen, Fidel begeistert begrüßt auftauchte, beordert Raúl die zuständigen Minister hin. Sechs Minister überstanden allerdings nicht einmal das erste Jahr des »Provisoriums«. Raúl Castro, der bei den letzten Wahlen fürs Parlament die meisten Stimmen erhielt, trägt die Last schier erdrückender Erwartungen der Kubaner, während bei korrupten Bürokraten und Funktionären die Angst umgeht. Denn da ist, ungeachtet aller großen Verdienste Fidel Castros, ein Mann ans Ruder gekommen, der Tacheles redet und Tacheles reden lässt.

1,3 Millionen Kubaner meldeten sich von Anfang Dezember bis Mitte Januar mit Meinungen, Vorschlägen und Kritiken zu Wort, nachdem sie Raúl Castro aufgefordert hatte, furchtlos und offen auszupacken, was sie an ihrem System stört. Zum Beispiel: Warum dürfen wir nicht in unsere Hotels, obgleich sie unterbelegt sind? Weshalb darf ich mein Auto oder meine Wohnung nicht verkaufen, obwohl sie mein Eigentum sind? Wieso wird die Bürokratie nicht ausgemistet? Wieso brauchen wir für Aus- und Einreise eine Erlaubnis? Wieso liegt so viel staatliches Land brach?

Die Medien legen nach. Zum Beispiel das Parteiorgan »Granma«, das »betrügerische Haltungen« in den Reihen von Parteifunktionären tadelt: »Es gibt Kader, deren Ohren offensichtlich nur bereit sind, vorfabrizierte Phrasen über Erfüllungen und Übererfüllungen von Plänen aufzunehmen.« Das sei nicht mehr tolerierbar. Und erstaunt fragt sie sich, wie so viele »Illegalitäten« von Parteilosen aufgedeckt werden und nicht von Mitgliedern der KP. Oder in der Zeitung der jungen Kommunisten: Es sei »kindisch, die Hierarchie des Materiellen zu leugnen. Wir kämpfen ja nicht für eine bessere Gesellschaft im Namen des Mangels und der Aufopferung, wir sind doch keine Masochisten.«

Raúl Castro wirft der Bürokratie vor, »mögliche Lösungen zu torpedieren und den Missbrauch von finanziellen Mitteln und wertvoller menschlicher Energie zu fördern«. Armando Nova vom Zentrum zum Studium der kubanischen Wirtschaft stellt fest: »Unser fundamentales Problem ist, dass wir nicht genug produzieren, weder in der Menge noch von der Zeit her.« Um da vorwärts zu kommen, müsse man das Tabu beseitigen, »das es uns verbietet anzuerkennen, dass ein Markt existiert«.

In Kuba herrscht Ruhe. Denn der Wandel verläuft bisher friedlich, geordnet und seriös.

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