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Potsdamer Forscher driftet in der Arktis

Von einer Eisscholle aus misst Jürgen Graeser Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit

  • Imke Hendrich
  • Lesedauer: 3 Min.

Minus 37 Grad, Eisbären schleichen um die Hütten und es ist stockdunkel: Jürgen Graeser hat derzeit einen ziemlich unwirtlichen Arbeitsplatz, der sich zudem täglich um knapp neun Kilometer verschiebt. Der Potsdamer Wissenschaftstechniker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) driftet zusammen mit 20 Russen auf einer Eisscholle im arktischen Ozean und lässt täglich einen Fesselballon für Temperaturmessungen aufsteigen. Dazu schlüpft er in seinen doppelt gefütterter Overall und geht hinaus in die schwarze Polarnacht. »Je nachdem, ob man überleben will oder nicht, hält man sich entsprechend kurz draußen auf«, erzählt der 49-Jährige.

Aber manchmal stapft er doch bis zu vier Stunden durchs Eis, wenn etwa Brennstoff von einem Depot geholt werden muss. Die Expedition befindet sich auf einer drei mal fünf Kilometer großen Eisscholle. »Nachschub gibt es keinen, alles, was wir brauchen, ist hier eingelagert«, berichtet Graeser. So könnte man denken, dass die Forscher von Tütensuppen oder Fertiggerichten leben müssen, aber weit gefehlt: »Der Koch macht sogar Suppe aus Fleisch und Knochen und zum Frühstück gibt es Brot, Butter, Eier, Aufschnitt.«

Aber es gibt nur dreimal im Monat warmes Wasser – wenn allgemeiner Wasch-, Bade- und Saunatag ist. Schließlich würde es zu viel Energie verschlingen, ausreichende Mengen Schnee zu schmelzen und heiß zu halten. So heißt es jeden Morgen: Katzenwäsche mit eiskaltem Schnee.

Mit Graeser ist erstmals überhaupt jemand, der nicht Russe ist, bei einer derartigen Expedition dabei. »Seit 1937 arbeiten die russischen Klimaforscher auf Eisschollen und wir haben als erste die Chance genutzt, als die Driftstation für das Internationale Polarjahr 2007 bis 2008 für Ausländer geöffnet wurde«, sagt AWI-Sektionsleiter Professor Klaus Dethloff. Für die Experten sind Daten aus der Arktis von immenser Bedeutung, da die Polarregionen als Frühwarnsysteme für Temperaturveränderungen und -störungen gelten. »Aber bislang sind die polaren Breiten die weißen Flecken auf unseren Datenkarten.«

Mit Hilfe der Messergebnisse, die Graeser täglich übermittelt, könne das AWI künftig exaktere Klimamodelle erstellen, erläutert Dethloff. Während Graeser mit seinem Fesselballon Temperatur, Feuchte und Wind in bis zu 300 Metern über dem Eis misst, starten seine russischen Kollegen täglich zwei Wetterballone, die Temperatur, Druck, Feuchte und Wind in bis zu 30 Kilometern Höhe messen. »Zudem wird von mir einer dieser Ballone alle zwei bis drei Tage mit einem speziellen Ozonsensor ausgestattet, der Informationen über die Ozonverteilung in der Atmosphäre über der Station liefert«, erzählt Graeser.

Die Expedition wurde im September gestartet. »Die Russen wollen bleiben, bis die Scholle schmilzt, Graeser holen wir Ende April ab«, sagt Dethloff. dpa

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