Vom Feldhäuschen zum Bungalow

Sehens- und lesenswertes Buch über das Berliner Kleingartenwesen

  • Rosi Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Buch »Kleine Gärten einer großen Stadt«, herausgegeben vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde e. V., kommt gerade zur rechten Zeit. Denn in Berlin wird auf so manche Kleingartenanlage durch hohe Abrisskosten, wachsende Gebühren oder die Umwidmung zu Wochenendsiedlungen, die dem Fiskus höhere Pachtzahlung einbringt, Jagd gemacht. Der Boden ist als Bauland wertvoll und weckt so manche Begehrlichkeit. Und das, so beweist der Band, ist so, seit die kleinen Gärten bestehen.

Der bemerkenswerte, umfassende historische Überblick über die Entwicklung des Kleingartenwesens in der Hauptstadt von kenntnisreichen Autoren zeigt: Kleingärten besaßen zu allen Zeiten in ihrer über hundertjährigen Geschichte große soziale Bedeutung als grüner Freizeit- und Erholungsraum für weniger Begüterte. Sie boten Gelegenheit für regenerative Gartenarbeit, und waren durch seinen Obst- Gemüse- und Blumenanbau ökologischer und wirtschaftlicher Faktor. Nicht zuletzt dienten sie als Erholungsparks und Spazieranlagen für die gestressten Städter.

Entstanden sind die Kleingärten als Reaktion auf Armut und Perspektivlosigkeit und werden deshalb auch als »Produkt der Mietskasernen« bezeichnet. 1833, so ist zu lesen, gab es die ersten Armengärten als Kartoffelland. Die Gärtner mussten in der Folgezeit um ihre Parzellen hart kämpfen, dabei half ihnen nur der Zusammenschluss in Verbänden. 1915 gehörten dem »Verband der Laubenkolonisten Berlins und Umgebung« schon 159 Vereine mit 13 000 Mitgliedern an.

In beiden Weltkriegen waren die Lauben und kleinen Gärten oftmals Wohnungsersatz für die Ausgebombten. Obst und Gemüse halfen, den Hunger nicht nur der Laubenpieper in Grenzen zu halten. Hunger und Landhunger wuchsen synchron. Ein Plakat von 1914 fordert sogar: »Baut mehr Kartoffeln! Die deutsche Kartoffel muss England besiegen«. In der Zeit des Faschismus dienten Kleingärten mitunter auch als Versteck für Widerstandskämpfer, wie aus der Anlage »Feldtmannsburg« in Hohenschönhausen berichtet wird.

Ausführlich widmet sich der Band der Entwicklung des Kleingartenwesens in West und Ost nach der Teilung Berlins. Trotz aller Sachlichkeit in der Sichtweise auf den Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) der DDR, wäre hier die Konsultation ostdeutscher Verbandsfunktionäre wie Erwin Wegener, die heute noch aktiv sind, hilf- und aufschlussreich gewesen.

Nichtsdestotrotz, der Band ist sehens- und lesenswert. Er enthält viele hochinteressante Fotos und Faksimiles von Dokumenten, in die man sonst kaum Einblick erhält. Die faktenreichen und subjektiven Schilderungen des Werdens und Wachsens von Kleingartenanlagen zwischen Reinickendorf und Treptow, beleben die Historie. Sie mahnen auch Bestandsschutz und Abkehr von der Bodenspekulation an. Eine Zeittafel ist wie eine Zeitreise durch mehr als 100 Jahre.

»Kleine Gärten einer großen Stadt«, herausgegeben vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde e. V., zu bezahlen über Verlag W Wächter GmbH 2007, 206 S. 28 Euro plus 5 Euro Versand.

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