Peking kontra Überhitzung

Heute beginnt die Jahrestagung des Volkskongresses in China

  • Anna Guhl, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie in jedem Jahr am 5. März kommt heute der Nationale Volkskongress in Chinas Hauptstadt zu seiner Jahrestagung zusammen. Neben umfangreichen personellen Entscheidungen wird es in den Debatten der knapp 3000 Volksvertreter aus allen Teilen des Landes vor allem um mehr Effizienz in der Leitungsarbeit von Verwaltungs- und Regierungsbehörden sowie um größere Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsentwicklung gehen.

30 Jahre nach dem Beginn von Reformen und Öffnung sowie wenige Monate vor den ersten Olympischen Spielen im Land stößt China immer häufiger an seine Grenzen – zumindest mit Blick auf das enorme Wirtschaftswachstum. Die Führung in Peking kämpft mit Überhitzung, Inflation und Korruption. Unsicher ist allerdings, ob es wirklich zu den angekündigten grundsätzlichen Entscheidungen über eine Verschlankung des Staatsapparates und die Beseitigung von Doppelzuständigkeiten der Ministerien und Kommissionen kommen wird. Die Rede ist von der Einrichtung mehrerer »Superministerien« in den Schlüsselbereichen Energie, Transport, Umwelt und Industrie. Zu groß sind weiterhin die unterschiedlichen Interessenlagen in der Zentrale und die Widerstände auf lokaler Ebene.

Als sicher gelten dagegen die personellen Umbesetzungen auf oberster Staats- und Regierungsebene. Dafür hatte bereits der KP-Parteitag im Herbst die Weichen gestellt. Die neuen »Kader« in der Parteispitze werden auch die Mannschaft im Kabinett von Premier Wen Jiabao für seine zweite Amtsperiode stellen. So sind die in ihren bisherigen Kompetenzbereichen durchaus erfolgreichen Provinzchefs Li Keqiang aus dem alten »Rostgürtel« im Nordosten des Landes, Zhang Dejiang aus Kantons Wirtschaftsboomregion sowie Pekings bisheriger Oberbürgermeister Wang Qishan für stellvertretende Ministerpräsidentenposten vorgesehen. Shanghais ehemaliger Parteichef Xi Jinping wird das frei werdende Amt des Vize-Staatspräsidenten übernehmen, Beobachter rechnen auch mit seinem Einzug in die Zentrale Militärkommission. Damit hat sich der fähige und kompetente Provinzführer binnen kurzer Zeit zu einem der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Partei- und Staatschef Hu Jintao gemausert.

Fünf Jahre nach Ausbruch der Lungenkrankheit SARS und drei Jahre nach der Benzolkatastrophe im nordöstlichen Harbin haben ungewöhnlich kalte Temperaturen verbunden mit viel Schnee und Eis in weiten Teilen von Zentral- und Südchina zu Beginn des Jahres wieder einmal gezeigt, wie fragil die Verwaltungsstrukturen und wie anfällig die Infrastruktur noch sind und wie wenig vorbereitet die Gesellschaft auf plötzliche Krisen ist, wie langsam und unkoordiniert gerade die Behörden vor Ort agieren, wenn es auf zügiges Handeln ankommt. Ein weiteres Mal wurde der politischen Führung vor Augen geführt, dass zur Modernisierung mehr gehört als schicke Appartment- und Bürotürme, glitzernde Malls oder breite Autobahnen.

Zudem sind Neubauten oft bereits wenige Monate nach Bezug teilweise baufällig. Dass gerade während der Schneekatastrophe der Verkehr derart zum Stocken kam, Straßen tagelang nicht passierbar waren, lag nicht nur an gravierenden Qualitätsmängeln im Straßen- und Schienenbau, sondern auch an der generell fehlenden Wartung von öffentlichem Eigentum. Mangelnde Führungsqualitäten bei den meisten lokalen Beamten, Veruntreuung öffentlicher Gelder, weitreichende Kompetenzstreitigkeiten, divergierende Interessen bei der Umsetzung zentraler Vorgaben auf lokaler Ebenen sind derzeit Chinas Hauptprobleme bei der weiteren Umgestaltung.

Während viele Projekte immer wieder in rekordverdächtiger Zeit aus dem Boden gestampft werden, bleiben Qualität und Nachhaltigkeit zunehmend auf der Strecke. Die Folge sind Ressourcenverschwendung in großem Stil und die weitere Verschmutzung der Umwelt. Alle Versuche Pekings, das aggressive und extensive Wirtschaften vor allem in den Küstenregionen zu beenden, sind bisher gescheitert, alle Bemühungen, Beamte wie Unternehmer für Umweltschutzmaßnahmen zu sensibilisieren, auf der Strecke geblieben.

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