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Die Akte Hedwig Bollhagen

Landeshauptarchiv zeigte Dokumente zur Geschichte der HB-Werkstätten in der Nazi-Zeit

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Einer Göttin gleich oder geschichtlich im Zwielicht? Bei der Jahrespressekonferenz des Brandenburgischen Landeshauptarchivs am Freitag in Potsdam lagen vergilbte Dokumente aus, die das historische Bild von einer märkischen Identifikationsfigur unter Umständen neu zeichnen. Nämlich das Bild der 2001 verstorbenen Kunstkeramikerin Hedwig Bollhagen aus Marwitz (Landkreis Oberhavel).

Im Jahr 2005 wurde der gesamte ungeordnete Nachlass der bekannten Geschirr-Designerin dem Landeshauptarchiv übergeben, und gemeinsam mit staatlichen Akten bildete er laut Archivleiter Klaus Neitmann die Grundlage für »eine Debatte, die gegenwärtig um ihre Rolle und ihr Verhalten im Dritten Reich geführt wird«. Das Material sei der Stiftung für zeitgeschichtliche Studien in Potsdam übergeben worden, und die Stiftung werde in einem halben bis einem Jahr eine politische Bewertung vornehmen, schätzte der Leiter.

Der Marwitzer Keramik-Betrieb gehörte bis 1934 Margarete Löbenstein, einer Jüdin, die nach den Worten der zuständigen Archiv-Referatsleiterin Susanna Wurche einer »konkreten Verfolgungssituation ausgesetzt war«. Wie die ausgebreiteten Dokumente belegen, wurde die jüdische Vorbesitzerin, nachdem Adolf Hitler an die Macht gelangte, wegen angeblicher »staatsfeindlicher Umtriebe« angezeigt und hatte unter diesem Druck ihre Werkstätten verkaufen müssen. Danach wurde der Betrieb durch den Käufer Heinrich Schild geschäftlich und Hedwig Bollhagen künstlerisch weitergeführt. Schild setzte sich nach 1946 in die britisch besetzte Zone ab und überstand dort erfolgreich ein Entnazifizierungsverfahren.

Die Archivarin verwies auf Dokumente, die belegen, dass der Keramikbetrieb während des Krieges für die SS Geschirr anfertigte hatte. An diesen Auftrag (10 000 Essnäpfe und 15 000 Schüsseln) sei das mittelständische Unternehmen »durch Beziehungen Schilds« gekommen. Nachdem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1943 den »totalen Krieg« ausgerufen hatte, wurden alle nicht kriegswichtigen Betriebe geschlossen.

»Normal« sei damals leider auch gewesen, dass Zwangsarbeiter in den Werkstätten tätig waren, wie sich deren Anwesenheit auch für jeden Bauerhof in Marwitz belegen ließe, fuhr die Spezialistin fort. Aus den persönlichen Aufzeichnungen von Hedwig Bollhagen habe sich ableiten lassen, dass sie sich den ausländischen Zwangsarbeitern gegenüber anständig und fair verhalten habe. Für eine schwangere Polin beispielsweise habe Frau Bollhagen ärztliche Hilfe und auch eine Hebamme vermittelt. In ihrem Tagebuch finde sich der Eintrag »Kind geboren«.

»Sie hat sich eben angepasst und glaubte so, gegenüber ihren Angestellten verantwortlich zu handeln«, sagte Wurche. Dieses interessante Leben lasse sich »nicht in Schubläden pressen«.

Nach 1946 habe die Meisterin dann sowohl das Geschäftliche des Betriebes in die Hand genommen als auch den künstlerischen Bereich geleitet. Nachdem der Betrieb 1972 eine halbstaatliche Leitung erhielt, konnte die zu DDR-Zeiten hoch geehrte Hedwig Bollhagen den Betrieb weiterführen. Sie hatte sich nach der Wende zu diesem Vorgang eher zustimmend geäußert und in einem Radio-Interview hervorgehoben, dass sie sich durch diese Maßnahmen »endlich auf ihre Entwürfe konzentrieren« konnte und in dieser neuen Betriebsform auch »zum ersten Mal richtig Geld verdient« habe.

Die betagte Dame wurde nach der Wende wieder selbstständig und als »Erfolgreiche Junge Unternehmerin« geehrt. Im deutschen Pavillon zur Weltausstellung in Hannover 2000 war ihre Büste die größte von allen.

In der Dokumentenpräsentation, die Eigentum der Hedwig-Bollhagen-Stiftung ist, finden sich Skizzen und Entwürfe der europaweit bekannten Handwerkerin, die immer nur von ihren »Töppen« sprach. Die Dokumente sind heute als »bewegliche Denkmale« eingestuft. Echtes Bollhagen-Geschirr ist inzwischen überaus wertvoll. In Potsdam fand 2007 eine Hedwig-Bollhagen-Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte statt. Ein Museum in Potsdam, das dieser Frau gewidmet ist, wird geplant. Lücken zu Kindheit und Jugend der 1907 geborenen Bollhagen lassen sich laut Archivarin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr schließen.

Die Diskussion um Bollhagens Verhalten sei »sehr wichtig«, sagte gestern Kulturministerin Johanna Wanka (CDU). Neben den Unterlagen über das »1000-jährige Reich« lagern im Landeshauptarchiv tatsächlich Schriften zu 1000 Jahren Brandenburg.

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