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Verbriefter Irrsinn
Die geheime Korrespondenz von Ludwig II.
Wer von dem Märchenkönig Ludwig II. spricht, dem »Kini«, der muss auch über all die Häuslers, Hochleitners, Hornsteiners, Hubers, Webers, Welkers, Winthers, Winzpergers, Osterauers und Krumpers sprechen, über die Heizer Nagler und Niebler, nicht zu vergessen den Engel, den Joseph und den Schanderl.
Ludwig II. ist ein bayerisches Trauma. Denn nur dort trifft man auch heute noch auf Leute, die Ludwigs Homosexualität und seinen Suizid im Starnberger See für Erfindungen von Feinden des Freistaats halten, die 1925 veröffentlichten Abschriften seiner später verbrannten Tagebücher für gefälscht, die Zeugenberichte über seine letzten Lebensjahre für erstunken und erlogen. Doch all jene haben ihre Rechnung ohne Robert Holzschuh gemacht. Der Rechtsanwalt in Aschaffenburg (Bayern) ist passionierter Handschriftensammler. Er erwarb 1999 auf einer Auktion nach heftigem Bietergefecht 27 Briefe Ludwigs II. Diese hat er nun eingebettet in eine Erzählung der Tragödie Ludwigs. Dass er dabei Brieftexte auseinander gerissen und in verschiedene Kapitel des Buches hineinkomponiert hat, ist dem Zweck geschuldet, sie als Beweismittel in einem Plädoyer aufzufahren, aus dem nicht so recht zu ersehen ist, wer eigentlich von Schuld oder Unschuld des Angeklagten überzeugt werden müsste. Geht es überhaupt um Schuld oder Unschuld, Vorwurf und Rechtfertigung, um königliche Ehre oder Unehre - außerhalb Bayerns?
Über Jahre hatte der Marstallfourier Karl Hesselschwerdt dem König die Bedienten zu organisieren, hatte zu kuppeln und gegebenenfalls zu entkuppeln. Er hatte in ganz Europa Jungen und Finanzquellen aufzutreiben, letztere, um Schweigegeld und auflaufende Baukosten für die Märchenschlösser zahlen zu können sowie den politischen und persönlichen Bankrott des heillos überschuldeten Königs aufzuschieben. Vor allem jedoch hatte Hesselschwerdt die Briefe nach Lektüre zu verbrennen. Das aber hat er nicht getan. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, jedenfalls Glück für uns, die wir Ludwigs Briefe in Holzschuhs Kommentierung mit leichtem Amüsement und geziemender Erschütterung zur Kenntnis nehmen dürfen.
Wenn es der Herr Dr. jedoch bei der Kommentierung belassen hätte! Den heimlichen Monarchisten jedoch ereilte die Berufung, dem schwulen König post mortem den Thron zu retten. Ob hetero, ob schwul: immerhin hat der Bayern-»Kini« sein Königreich in den Ruin getrieben. Wer nicht gewählt ist, kann schwerlich abgewählt, wer nicht abdanken will, muss zur Abdankung gezwungen werden. Um beide, König und Reich, voreinander zu schützen, blieb und bleibt in Bayern nur die sauber eingefädelte Intrige. Holzschuh tut dem gutachtenden Medizinalrat Doktor von Gudden bitter Unrecht, der sich ganz und gar nicht angemaßt hat, wie unterstellt, »dem wehrlosen König auf den Grund der Seele blicken zu können, ohne ihn gesprochen oder untersucht zu haben«. Indem von Gudden den König eben gerade nicht wegen dessen Sexualverhaltens, sondern wegen dessen gesellschaftlichen Verhaltens für unzurechnungsfähig, ja darüber hinaus Ludwigs Homosexualität für eine »Schwäche« erklärt hat, »die auch bei gesunden Menschen vorkomme«, griff der ausgewiesene Spezialist für Geisteskrankheiten seiner Zeit - wir schreiben das Jahr 1886 - weit voraus.
Der Märchenkönig, der nie König sein wollte, aber musste, und als er einer sein wollte, keiner mehr sein konnte, einer der späten, unglücklichen Sprösslinge inzestuöser dynastischer Heiratspolitik des europäischen Adels, war die personifizierte Unzurechnungsfähigkeit - in seinem Versuch, außerhalb seiner Zeit eine poetische Existenz zu leben. Das belegen eindrucksvoll seine Briefe von irrsinniger Klarheit.
Robert Holzschuh: Das verlorene Paradies Ludwigs II. Die persönliche Tragödie des Märchenkönigs. Mit 27 unveröffentlichten Briefen des Königs. Eichborn Verla...
Ludwig II. ist ein bayerisches Trauma. Denn nur dort trifft man auch heute noch auf Leute, die Ludwigs Homosexualität und seinen Suizid im Starnberger See für Erfindungen von Feinden des Freistaats halten, die 1925 veröffentlichten Abschriften seiner später verbrannten Tagebücher für gefälscht, die Zeugenberichte über seine letzten Lebensjahre für erstunken und erlogen. Doch all jene haben ihre Rechnung ohne Robert Holzschuh gemacht. Der Rechtsanwalt in Aschaffenburg (Bayern) ist passionierter Handschriftensammler. Er erwarb 1999 auf einer Auktion nach heftigem Bietergefecht 27 Briefe Ludwigs II. Diese hat er nun eingebettet in eine Erzählung der Tragödie Ludwigs. Dass er dabei Brieftexte auseinander gerissen und in verschiedene Kapitel des Buches hineinkomponiert hat, ist dem Zweck geschuldet, sie als Beweismittel in einem Plädoyer aufzufahren, aus dem nicht so recht zu ersehen ist, wer eigentlich von Schuld oder Unschuld des Angeklagten überzeugt werden müsste. Geht es überhaupt um Schuld oder Unschuld, Vorwurf und Rechtfertigung, um königliche Ehre oder Unehre - außerhalb Bayerns?
Über Jahre hatte der Marstallfourier Karl Hesselschwerdt dem König die Bedienten zu organisieren, hatte zu kuppeln und gegebenenfalls zu entkuppeln. Er hatte in ganz Europa Jungen und Finanzquellen aufzutreiben, letztere, um Schweigegeld und auflaufende Baukosten für die Märchenschlösser zahlen zu können sowie den politischen und persönlichen Bankrott des heillos überschuldeten Königs aufzuschieben. Vor allem jedoch hatte Hesselschwerdt die Briefe nach Lektüre zu verbrennen. Das aber hat er nicht getan. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, jedenfalls Glück für uns, die wir Ludwigs Briefe in Holzschuhs Kommentierung mit leichtem Amüsement und geziemender Erschütterung zur Kenntnis nehmen dürfen.
Wenn es der Herr Dr. jedoch bei der Kommentierung belassen hätte! Den heimlichen Monarchisten jedoch ereilte die Berufung, dem schwulen König post mortem den Thron zu retten. Ob hetero, ob schwul: immerhin hat der Bayern-»Kini« sein Königreich in den Ruin getrieben. Wer nicht gewählt ist, kann schwerlich abgewählt, wer nicht abdanken will, muss zur Abdankung gezwungen werden. Um beide, König und Reich, voreinander zu schützen, blieb und bleibt in Bayern nur die sauber eingefädelte Intrige. Holzschuh tut dem gutachtenden Medizinalrat Doktor von Gudden bitter Unrecht, der sich ganz und gar nicht angemaßt hat, wie unterstellt, »dem wehrlosen König auf den Grund der Seele blicken zu können, ohne ihn gesprochen oder untersucht zu haben«. Indem von Gudden den König eben gerade nicht wegen dessen Sexualverhaltens, sondern wegen dessen gesellschaftlichen Verhaltens für unzurechnungsfähig, ja darüber hinaus Ludwigs Homosexualität für eine »Schwäche« erklärt hat, »die auch bei gesunden Menschen vorkomme«, griff der ausgewiesene Spezialist für Geisteskrankheiten seiner Zeit - wir schreiben das Jahr 1886 - weit voraus.
Der Märchenkönig, der nie König sein wollte, aber musste, und als er einer sein wollte, keiner mehr sein konnte, einer der späten, unglücklichen Sprösslinge inzestuöser dynastischer Heiratspolitik des europäischen Adels, war die personifizierte Unzurechnungsfähigkeit - in seinem Versuch, außerhalb seiner Zeit eine poetische Existenz zu leben. Das belegen eindrucksvoll seine Briefe von irrsinniger Klarheit.
Robert Holzschuh: Das verlorene Paradies Ludwigs II. Die persönliche Tragödie des Märchenkönigs. Mit 27 unveröffentlichten Briefen des Königs. Eichborn Verla...
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