Trotz eines Bittbriefes an Hitler

Vor 75 Jahren wurden die Gewerkschaften in Deutschland zerschlagen

  • Werner Ruch
  • Lesedauer: 6 Min.
SA besetzt das Gewerkschaftshaus am Engelufer in Berlin, 2. Mai 1933.
SA besetzt das Gewerkschaftshaus am Engelufer in Berlin, 2. Mai 1933.

Am 7. April 1933 hatte die Hitlerregierung den Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse zum »Tag der Nationalen Arbeit« erklärt. Mit diesem Schachzug bereiteten die Nazis die endgültige Ausschaltung der Gewerkschaften in Deutschland vor. Goebbels hatte schon im Sommer 1932 in seinem Tagebuch festgehalten, »den Roten werden wir sehr bald zeigen, wie man einen 1. Mai organisiert«. Ein knappes Jahr später folgte dann seine Massen-Inszenierung in Berlin auf dem Tempelhofer Feld. Einen Tag darauf wurden alle Gewerkschaftshäuser bzw. Büros in Deutschland besetzt, das Gewerkschaftseigentum beschlagnahmt, führende Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet und durch Kommissare der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation (NSBO) ersetzt. Die NS-Gefolgschaftsorganisation die »Deutsche Arbeitsfront« konnte in Aktion treten.

Wie Kriminelle behandelt
Theodor Leipart, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), der mitgliederstärksten Gewerkschaftsorganisation der Weimar Republik und 1946 Befürworter der Vereinigung von KPD und SPD, erinnerte sich, dass am 2. Mai 1933 vor allen Gewerkschaftshäusern und Büros, auch vor dem Bundeshaus, starke Formationen der SA mit grölendem Marschgesang aufmarschierten. Etwa 400 bis 500 SA-Männer besetzten nach Schätzung seines Kollegen Herrmann Schlimme, langjähriger Sekretär des ADGB und Mitbegründer des FDGB Groß-Berlin nach dem Krieg, das Bundeshaus des ADGB in der Inselstraße und die Arbeiterbank in der Wallstraße im Berliner Bezirk Mitte. Mit vorgehaltener Pistole trieben sie die zur Vorstandssitzung versammelten Funktionäre und deren Mitarbeiter vor sich her und fuhren sie dann auf Lastwagen in die unweit gelegene Parochialstraße.

»Wir mussten«, so Schlimme, »etwa 24 Stunden die übelsten Schmähreden anhören und wurden auch nicht von körperlichen Misshandlungen verschont. Stundenlang strömten dann, anscheinend auf Bestellung, Neugierige in das Haus, um uns zu beschimpfen. Einer der SA-Leute rief zum Beispiel: Habt ihr das Schwein Leipart schon gesehen? Da sitzt er, das Schwein! Am 3. Mai wurden wir dann in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz und von dort nach Plötzensee in Schutzhaft gebracht. In das Gefängnis Plötzensee wurden etwa 60 Funktionäre der Gewerkschaften zugleich eingeliefert und in den Zellen zusammengepfercht ... und genauso behandelt wie kriminelle Verbrecher.«

August Reitz, ehemaliges Vorstandsmitglied des Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Wagenverkehrs, erinnert sich an die Besetzung des Gewerkschaftshauses am Michaelkirchplatz. Um acht Uhr am 2. Mai war dort der Vorstand zusammengetreten, »um zu der entwürdigenden Maiveranstaltung auf dem Tempelhofer Feld« Stellung zu nehmen. Eine Minderheit, geführt vom Redakteur Emil Dittmar, habe versucht, eine Anerkennung des Naziregimes durch die Gewerkschaften durchzusetzen, weil derart angeblich deren Legalität gewahrt bleiben könne. In den Disput platzte die telefonische Nachricht, dass bereits SA-Trupps das Haus des ADGB in der Wallstraße besetzt haben und dort Plünderungen stattfänden. Gegen zehn Uhr war auch das Gewerkschaftshaus am Michaelkirchplatz umstellt, Schüsse wurden abgefeuert, um die Hauswache zu zwingen, die vergitterten Hauseingänge zu öffnen.

Josef Orlopp – nach ihm ist eine Straße in Berlin-Lichtenberg benannt – war ein Mitarbeiter von August Reitz. Er berichtete später, dass sich sämtliche Angestellten im großen Sitzungssaal zu versammeln hatten. »Dort wurde die Parteizugehörigkeit aller politischen und technischen Kräfte festgestellt. Dabei stellte sich zu unserer Überraschung heraus, dass einige Beschäftigte schon Mitglieder der NSDAP waren, darunter der Leiter der Poststelle und die Leiterin der Telefonzentrale.«

Auch das international bekannte Gewerkschaftshaus am Engeldamm 62-65 wurde am 2. Mai besetzt und verwüstet – zum wiederholten Mal. Die dort befindliche Sassenbach-Bibliothek wurde beschlagnahmt; einige Bestände wurden später als Altpapier verkauft. Karl Richter, langjähriger Vorsitzender der Industriegewerkschaft Druck und Papier im DGB, hielt in seinen Lebenserinnerungen fest, wie 30 SA-Männer, uniformiert und in zivil, das Gewerkschaftshaus in der Kreuzberger Dudenstraße stürmten. Auf dem Hof wurden Bücher und Akten des Verbandes verbrannt. Schon im April 1933 hatten die Nazis eine Gutenberg-Büste beschädigt und von einer Bronzebüste August Bebels den Kopf abgeschlagen.

Nazis folterten mit »Waterboarding«
Willi Lehmann, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Bekleidungsverbandes, Bezirk Berlin, und erster Vorsitzender des gleichen Verbandes ab 1945 im FDGB, beschrieb, wie ihn die Nazihorden aus seinem Verbandsbüro in Kreuzberg holten, tagelang misshandelten und bespuckten. »Am vierten Tag meiner Haft wurde ich in einen Keller gebracht, an dessen Wänden Schließeisen befestigt waren. An diese schloss man mich so an, dass Hände, Füße und Hals fest an der Wand waren. Über meinem Kopf hing eine große Konservenbüchse, die mit Wasser gefüllt war und in der sich unten ein kleines Loch befand, wo dann jede Sekunde ein Tropfen auf meine Stirn fiel. Die SA-Leute brüllten mich an: Dich Schwein werden wir noch zum Reden bringen – dich werden wir noch fertigmachen.«

Hitler hatte die Besetzung der Gewerkschaftshäuser am 21. April angeordnet. Die oberste Leitung der NSDAP, deren Sitz sich noch in München befand, gab an jenem Tag die Instruktion raus: »Dienstag, den 2. Mai 1933, vormittags 10 Uhr, beginnt die Gleichschaltungsaktion gegen die Freien Gewerkschaften.« Verantwortlich seien die Gauleiter und ein eigens zu diesem Zwecke geschaffenes Aktionskomitee unter Leitung von Robert Ley. Die Aktion habe sich gegen den ADGB und den Allgemeinen Freien Angestellten-Bund (AFA-Bund) zu richten. Die Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften sowie die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) blieben unerwähnt. Erstere galten nicht als marxistisch und deren Mitgliedschaft war auch wesentlich kleiner. Und die Kommunisten sowie die ihnen nahe stehenden Organisationen waren bereits längst blutigen Verfolgungen ausgesetzt.

Jürgen Kuczynski schilderte in seinen Memoiren, wie er nach einer Mitarbeiterbesprechung mit Ernst Thälmann im Karl-Liebknecht-Haus zum Sitz der RGO am Hackeschen Markt ging: »Es war am Morgen nach dem Reichstagsbrand, in der Münzstraße fängt mich Roman Chwalek ab. Das Haus sei besetzt, die Legalität zu Ende ... Es begann eine Zeit, in der die gegenseitige Rettung vor Zuchthaus, Konzentrationslager, vor dem Tode zu einer selbstverständlichen und häufigen Angelegenheit wurde.« Roman Chwalek, Organisationsleiter des Reichskomitees der RGO und Mitglied des Reichstages, gehörte 1945 zu den Initiatoren der Gründung des FDGB Groß-Berlin.

Der Kniefall des Vorstandes
Immer wieder wird gefragt, warum die großen, international geachteten deutschen Gewerkschaften vor den Nazis de facto kapitulierten. Darauf hat es und wird es nie nur eine Antwort geben. Festzuhalten ist jedoch: Starken Worten waren nur schwächliche Taten gegen die faschistische Machtübernahme gefolgt. Bereits zur Verhinderung des Staatsstreichs gegen die letzte sozialdemokratische Länderregierung in Preußen, im Juli 1932, war nicht – wie noch 1920 gegen den Kapp-Putsch – zum Mittel des Generalstreiks gegriffen worden. Und als die Kommunisten nach Hitlers Ernennung zum Kanzler am 30. Januar 1933 zum Generalstreik aufriefen, wiegelten SPD-und ADGB-Führung ab. Man müsse die von Hitler vorgezogene Neuwahl des Reichstages am 5. März 1933 abwarten.

Bereits nach dem Reichstagsbrand, vor allem aber nach dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes am 23. März, wurden in vielen Städten Gewerkschaftshäuser überfallen. Herrmann Schlimme ersuchte Hindenburg am 21. März in einem Brief, dem »rechtswidrigen Treiben« Einhalt zu gebieten. Besorgt um die Zukunft der Organisation bat der Vorsitzende des ADGB sogar Hitler um Verständnis: »Die sozialen Aufgaben der Gewerkschaften müssen erfüllt werden, gleichviel welcher Art das Staatsregime ist.« Am 19. April folgte der Kniefall von Bundesvorstand und Bundesausschuss des ADGB: »Wir begrüßen es, dass die Reichsregierung diesen, unseren Tag, zum gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit, zum deutschen Volksfeiertag erklärt hat.«

Am 2. Mai 1933 jubelte der Berliner »Börsencurier«, ein Sprachrohr der Großbourgeoisie: »Alle Führer der freien Gewerkschaft in Schutzhaft.«

Am heutigen Samstag, dem 26. April, lädt von 10 bis 16 Uhr die Bundestagsabgeordnete Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zu einer Tagung in der ehemaligen Bundesschule des ADGB in Bernau (Hannes-Meyer-Campus 1) zum Thema »Gewerkschaften im Widerstand – Was lehrt das Jahr 1933?«.

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