Der Schalk und die Anmut

Schauspieler Fred Düren zum Ehrenmitglied des Deutschen Theaters Berlin ernannt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Schalk und die Anmut

Blau ist die Nacht, die hier der schöne weite Rundhorizont ist. Operettenblau. War's so bei der »Schönen Helena«? Wunderbar romantisch eingehaucht jedenfalls die Bühne des Deutschen Theaters Berlin, wo am Sonntagvormittag der Schauspieler Fred Düren zum 23. Ehrenmitglied ernannt wurde. Ein Ritterschlag aus lauter Liebeserklärungen. Der Zuschauerraum gefüllt mit so vielen Leuten, denen eine wehmütige Vergangenheitsstunde schlug. Viel Theatergeschichte, DT-Geschichte saß im Publikum, ergraut inzwischen, und freute sich am Leben.

Auf der Bühne acht Mann der DT-Jazzband, einst die Jazz-Optimisten, aus dem legendären »Frieden«. Düren war in dieser berühmten Besson-Aufführung des Stücks von Aristophanes und Peter Hacks (fünfundvierzig Minuten Premierenapplaus!) der Bauer Trygaios: in den Sechzigern ein auf dem Mistkäfer fliegender Jahrzehnt-Volksheld auf Berlins Bühnen und Held im Gemüt jedes Friedensfreundes. Düren gab auch den Tartüffe, wieder in einer Inszenierung Bessons, sie befreite Molière aus deutsch-probater Possierlichkeit. Er spielte einen fein-blasierten Prinzen Paris in besagter »Schöner Helena« und auch den »Oedipus Tyrann«, in seinem Glanz und Elend verfremdet durch Horst Sagerts kunstvoll-mystische Maske. In Adolf Dresens und Wolfgang Heinz' »Faust I« war Düren die Titelgestalt: ein mit Verzweiflung korsettierter Grübler in einer funktionärseifrig attackierten Aufführung, die sich offiziellem sozialistischem Realismus faustdick verweigerte. Herauszuheben noch: König Lear und Herzog von Ferrara (»Tasso«) bei Friedo Solter, der Shylock bei Thomas Langhoff. Eine Inszenierung, so wird Düren an diesem Morgen zitiert, deren Produktivität er inzwischen anzweifelt. Klar: Sie stellte die Klassen- vor die Rassenfrage, Fred Düren aber lebt seit Jahren gläubig in Israel. Handlungen, Wandlungen.

Zu Ton-Ausschnitten gab es Fotos, auf eine Leinwand projiziert. Intendant Bernd Wilms schilderte Düren als »verrutscht und bestürzend komisch«; den Tartüffe habe er als einen sich fortwährend wandelnden Versteller gespielt, denn immer andere Menschen seien von ihm zu betrügen gewesen. Alexander Khuon, Sven Lehmann, Margit Bendokat, Gudrun Ritter und Christine Schorn zitierten Hacks und Düren-Antworten auf Interview-Fragen von André Müller sen. und Karl-Heinz Müller (im Buch »Ich muss ja den Weg gehen, den ich gehen kann ...«, Verlag Das Neue Berlin): Sehr trockene Antworten, sie verraten den »Schalk«, von dem Dramaturg Mike Hamburger sprechen wird.

Aus erwähntem Buch liest auch Dieter Mann, er erinnert an jenen jungen Düren auf der Ochsentour durch die Provinz, der in lila Kunstledermantel durch Ludwigslust lief. Dieser Schauspieler, später dann von Brechts Berliner Ensemble ans Deutsche Theater wechselnd (denn nach Brechts Tod fragte er sich am Schiffbauerdamm, was hier denn noch kommen solle), beherrschte gleichsam die textgebundene Tanzkunst. Er war jahrelang die Verkörperung elegantester Angespanntheit und eines fiebrig flatternden Raum-Ertastens. Im flackernden Licht seiner Kurvenbewegungen erhielt Schauspiel einen Hauch des Pantomimischen. Mehrmals fiel in der Matinee der Begriff »Anmut«.

Ein im besten Sinne fahriger Handwerker war Düren, mit blitzartig geschmeidigen Ausflügen ins Bizarre. Spielmomente luden sich auf ins Exzentrische, glitten sanft hinüber ins poetisch Luftige. Dazu diese spröde, mit Brüchen spielende Stimme. Die Tonbänder beweisen: Noch immer, nach Jahren, eine bezwingende, in Bann schlagende Kraft in jedem Vokal, in jedem Konsonant, und in der bindenden Melodie zwischen ihnen.

Man ist geneigt zu sagen: Wer kennt heute noch Düren. Das ist der schmerzliche Widerspruch zwischen künstlerischer Größe und Popularität. Das eine muss mit dem anderen nicht unbedingt etwas Zwingendes zu tun zu haben. Schon gar nicht heute, da speziell das Fernsehen an unser aller wachsendem Bildverlusten arbeitet. Ehrenmitglieder eines Theaters arbeiten mit an einer Ehrentafel (die in diesem Falle im Rangfoyer hängt), die zu studieren anempfiehlt, dass ein Jeglicher seine Zeit hat, und dass schauspielerische Schöpfung wie keine andere Schöpfung davon erzählt, wie Leben im gleichen Moment vergeht, in dem es entsteht. Und doch bleibt! Standing Ovations jetzt für Reimar Joh. Baur, dessen Blindenabzeichen leuchtet und der wohl fast nur noch ins Dunkle schaut; lange Zeit einer der feinherzigsten Menschen-Erschauer auf dieser Bühne. Wir hören noch einmal seine legendäre singende Säge.

Christine Schorn liest Rilkes Gedicht »Karussell«, da ist von »atemlos blindem Spiel« die Rede; Inge Keller rezitiert, von der rechten Seitenloge aus, Verse aus Goethes »Zueignung«. Die Schorn aufreizend ironisch, dann in eine rührend-tiefe Beseeltheit fallend; die Keller fragend, ganz im Sprach-Adel einer betörend höheren Einsicht in die Vorläufigkeit alles Strebens und Gestaltens. Beide Schauspielerinnen sind in dieser Feierstunde Botinnen jenes schönen schwebenden Scheins, der Leben erhöht, ohne es wirklich zu retten. Und damit die Botschaft nicht zu dunkel, nicht zu skeptisch, zu fragil wird, tritt Dagmar Manzel auf, singt juxend vom wunderbaren Unsinn des Gauklertums, das schon viel leistet, wenn es durch die Zeiten einen kleinen, aber lebbaren Traum rettet: »Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück ...« Sie lacht und grient und feixt – und wird am Ende, wenn Düren Mundharmonika spielt und eine Seite Predigt liest, innig heiter weinen. Komödianten sind Götter für Arme, deren Reich mit jedem Traum kommt, den sie vor der Verwirklichung retten.

Christian Grashof im erfrischenden »Freistil« über Düren: Keiner habe so beredt wie der schweigen können. Als Grashof, noch jung, den Tasso gab und in der Premiere »zum zweiten Monolog« ansetzte, da habe sich Düren ihm zugewandt, Rücken zum Publikum, und auf die Uhr getippt. »Bei jedem anderen wäre ich umgefallen, bei Fred nahm ich das als kleinen, stillen Hinweis.« Im übrigen, so Grashof, seien heute, an diesem Vormittag, schöne Beschreibungen »Freds« zu hören gewesen, alles richtig, aber »irgendwann ist die ›Natur Düren‹ nicht mehr zu erklären, da entzieht sich alles der Begrifflichkeit, weil's lebt und Wunder ist und sich nur erzählt, indem man's spielt.« Aufforderung in die erste Reihe hinunter: »Willst du nicht lieber spielen? Los, komm hoch, Fred, spiel!« Applaus.

Ahnungsvoll, von heute aus gesehen: Mehr und mehr hatte in Dürens Spiel, in den achtziger Jahren, eine konzentrierte Strenge obsiegt, ein Wirken ganz ohne Ausschwünge und Arabesken. Als schlüge da einer mählich einen meditativen, abschiedsbereiten Bannkreis um sich. Eines Tages trat der Komödiant dann ganz aus seiner Kunst heraus, ging aus der Scheinwerferhelle, führte sich selber hinters künstliche Licht und sah in einer anderen Welt einen anderen Auftrag leuchten. Schauspielers Werk, fremde Häute zu Markte zu tragen, ist ja, wenn es beseelt getan wird, eine Art Nächstenliebe: Er nimmt sich erdichterer Schicksale an, damit wir sie uns für unser Leben zu eigen machen. Bei Nächstenliebe blieb Fred Düren, denn Gottesliebe ist deren Hochrechnung. Er, der in diesem Dezember achtzig wird, lebt als Rabbi in Jerusalem.

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