Duldung vs. Abschiebung

Im Kino: »Draußen bleiben« von Alexander Riedel

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Valentina sieht aus wie die junge Barbara Sukowa: die gleiche wilde Mähne, die gleiche Projektion überschäumender Lebenslust. Suli ist ruhiger, überlegter, konservativer erzogen. Während Valentina die Schule schwänzt, auf dem Bolzplatz eine große Lippe riskiert und sich gelegentlich mit Autoritätspersonen in Uniform anlegt, legt Sulis Familie viel Wert auf ihre Schulbildung und anständiges Verhalten. Dass Suli und Valentina beste Freundinnen sind, beruht auf einer gemeinsamen Erfahrung, die beide Teenager prägt: das Aufwachsen in einer Gesellschaft, in die sie nicht hineingeboren wurden, und die sie nur zögerlich zu akzeptieren bereit ist.

Valentina kam als Fünfjährige mit Mutter und Bruder aus Kosovo nach Deutschland. Sie ist gebürtige Albanerin, und ihrer Restfamilie wurde eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Suli ist Uigurin und als Achtjährige mit ihrer Familie vor der Minderheitenpolitik der Volksrepublik China geflohen. Kennen lernten sie sich in München, in einer Flüchtlingsunterkunft – wo Valentina heute noch lebt. Suli hatte mehr Glück im Poker um die Zuerkennung des Bleiberechts: Ihre Familie konnte relativ schnell in eine kleine Wohnung umziehen. Nur den Eltern ihrer deutschen Klassenkameraden muss sie immer wieder erklären, was sie eigentlich macht in Deutschland. Weil das auf die Dauer nervt, hat auch sie kaum deutsche Freunde.

Valentina und Suli: zwei ganz normale Mädchen, zwei ganz unnormale Lebensläufe. Die beiden sprechen Deutsch miteinander (welche Sprache auch sonst?), und sie sprechen Deutsch mit den anderen, den Kindern und Jugendlichen, die wie sie aus der Welt nach Deutschland kamen, um hier ein neues, sicheres, freies Leben zu führen. Und sich stattdessen hinter rechtlichen, sozialen, teils ganz physischen Mauern eingesperrt fanden. Ihr Deutsch ist akzentuiert, nicht immer ganz so, wie die Schulbücher es lehren, manchmal durchaus vulgär – wie das ihrer deutschen Klassenkameraden. Anders als die meisten deutschen Mädchen haben sie Brüder, die sich als Aufpasser und Moralwächter aufführen, wie Suli. Oder eben nicht, wie Valentina.

Es ist ein schwieriger Balance-Akt, das Leben dieser beiden Mädchen: das von Suli, weil sie einerseits ein deutsches Teenager-Dasein führt, andererseits optisch, aber auch durch die für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich strenge Reglementierung ihrer Freizeit durch die Familie als Neuzugang zu erkennen bleibt. Und das von Valentina, weil ihr die Behörden ein Leben von Tag zu Tag aufzwingen: Teenager sein ist aufwühlend genug, auch wenn man nicht zwischen Duldung und Abschiebung hängt, sich von einer Aufenthaltsgenehmigung zur nächsten hangelnd, die mal um ein halbes, mal nur um ein Vierteljahr verlängert wird. Valentinas Mutter, die im Hintergrund putzt und für das Essen auf dem Tisch sorgt, hat die ständige Unsicherheit längst zermürbt. Sie ist in Behandlung, »psychisch in Behandlung«, sagt Valentina, und es ist ironischerweise wohl just diese situationsbedingte Erkrankung, die die offiziell nur geduldete Familie bisher vor der Abschiebung bewahrt hat.

Regisseur Alexander Riedel suchte für sein Abschlussprojekt an der Filmhochschule München nach Teenagern, die die Schule verweigern. Er fand Valentina und Suli, Schneeweißchen und Rosenrot, die Rebellin und die brave Schülerin. »Draußen bleiben« hätte eine Münchner Version der Kreuzberger Erfolgs-Doku »Prinzessinnenbad« werden können: die gleiche Selbstsicherheit, die gleiche freche Schnauze, die Schauwerte auch – Valentina und Suli wirken wie vom Ausstatter eingekleidet –, die gleiche Unsicherheit gegenüber der heftig unsicheren Zukunft. »In China wäre ich jetzt vielleicht schon verheirat«, sagt Suli, und man merkt ihr die Erleichterung an: Sie geht stattdessen zur Schule. Valentina möchte Altenpflegerin werden – aber das kann morgen natürlich ganz anders sein.

So wie Riedels Film anders ist: sorgfältig kadriert, mit vielen festen Einstellungen und Halbtotalen. Er inszeniert die Mädchen, stellt sie in Räume, die ihr Leben widerspiegeln: das leere Fußballfeld (es ist nicht das, auf dem Valentina und ihre Frauenmannschaft normalerweise trainieren), graffiti-übersäte Unterführungen, das große Bett, auf dem Suli zu Hause ihre Schularbeiten macht, weil es die ganze Breite ihres Raumes einnimmt. Oder die Zimmer und Gänge des Heims, aus dem Valentinas Familie sich eine Heimat machen musste. Was sie tun würde, wenn die Abschiebung doch noch käme, fragt Riedel Valentina einmal. Nicht gehen, sagt sie. Und wenn sie schon im Flugzeug säße? »Ich würde aus der Maschine springen, auf Deutschland zu«. Man wünscht ihr, dass das nicht nötig sein wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal