Torstens miese Masche

Anklage wegen Betrugs und Missbrauchs von Titeln

  • Lesedauer: 4 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

An diesem Mann ist ein Verwandlungskünstler verloren gegangen. Der 43-jährige Torsten Silbio G. schlüpft in kürzester Zeit mit einer Glaubhaftigkeit in verschiedene Rollen als Arzt, Polizist oder Professor, dass er viele Menschen in Erstaunen versetzt. Er kann auf Bestellung in Tränen ausbrechen, den seriösen Anrufer mimen oder den besorgten Helfer in höchster Not. Mit einem Wort, ein Universalgenie. Doch statt den roten Teppich für den Meister auszurollen, beschäftigen sich immer wieder Gerichte mit seiner Kunst. Torsten Silbio ist zu einem Dauerfall für Justitia geworden.

Mit einer höchst miesen Masche hat er es auf das Geld sehr alter und kranker Leute abgesehen. Schon während er eine viereinhalbjährige Strafe wegen Betrugs absaß, fädelte er seine nächsten krummen Touren ein. Er nutzte seine Freigänge, um Menschen und Regionen auszuspähen. Viel Zeit verbrachte er in der Nähe von Cafés, wo ältere Damen ihr Kaffeekränzchen absolvierten. Hatte er sich ein Opfer ausgesucht, sammelte er weitere Informationen: Telefonnummer, Freundes- und Verwandtenkreis. Hatte er genug zusammen, begann er mit seinem kriminellen Spiel.

So rief er beispielsweise am 4. Februar 2007 gegen 16.30 Uhr bei der 86-jährigen Erna P. an, die in einem Berliner Seniorenheim wohnt. Er stellte sich als Polizist vor, der einen Fall bearbeiten müsse, und verwickelte die alte Dame in ein Gespräch. Aus datenrechtlichen Gründen könne er den Namen der betroffenen Person am Telefon nicht nennen. »Sie wissen schon, wer gemeint ist, Ihre Tochter...« »Meinen Sie meine Tochter Jenny?« »Genau die meine ich. Jenny ist in ihrer Wohnung eingeschlossen und wir müssen den Schlüsseldienst holen, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Das Ganze kostet etwa 300 Euro.« Wenig später klingelt es an der Tür des Seniorenheimes und der »Schlüsseldienst« steht vor der Tür, zeigt Dienstausweis, kassiert das Geld, quittiert, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Insgesamt 46 Fälle bis zu seiner Verhaftung im August 2007 liegen dem Gericht vor. Einmal war er Mitarbeiter von Air Berlin, dann wieder Arzt in der Charité oder Polizist im Dauerdienst. Hatten die Opfer nicht so viel Geld bei sich, zeigte sich Torsten ausgesprochen großzügig. Er bezahlte die Taxifahrt zur nächsten Sparkasse, um dann Beträge zwischen 300 und 500 Euro in Empfang zu nehmen. Über 13 000 Euro hat sich der »Helfer in der Not« auf diese Art zusammengegaunert. Nicht immer hatte der kleine Mann mit der großen Klappe Erfolg.

In der gestrigen Verhandlung nun zeigte er eine weitere Seite seines Talents. Er bombardierte das Gericht mit unzähligen Anträgen. Er rügte die Zusammensetzung der Kammer. Dann beantragte er, dass die Anklageschrift nicht verlesen wird. Den Gutachter, der seine Zurechnungsfähigkeit beurteilen soll, lehnte er wegen Befangenheit ab. Schließlich forderte er für sich wegen akuter Kopfschmerzen und Blasenschwäche ausreichend Zeit für Erholung. Jedes Mal musste die Verhandlung unterbrochen werden, um über den Antrag zu entscheiden. Bald saßen Richter, Schöffen, Staatsanwältin und Gutachter mit schmerzverzerrten Gesichtern auf ihren Plätzen und lauschten apathisch der Antragsflut. Die alten Leute, die Opfer, als Zeugen geladen, mussten warten und warten. Sie kamen gestern nicht zum Zuge, weil der Angeklagte das Tempo bestimmte.

Als nach dreistündiger Verspätung die Anklage verlesen wurde und die Staatsanwältin gerade bei Fall vier war, verdrehte Torsten seine Augen. Er müsse jetzt unbedingt in die Horizontale, er sei nicht mehr in der Lage, der Verhandlung zu folgen. Auch nach einstündiger Unterbrechung kam der Mann nicht wieder zurück aus seiner Zelle in der U-Haft. Er fühle sich zu schwach für die Fortsetzung, ließ er verkünden.

Da nicht davon auszugehen ist, dass der falsche Doktor-Polizist künftig auf dem Pfad der Tugend wandeln wird, möchte die Staatsanwaltschaft eine Sicherheitsverwahrung für den Mann, der, so wie er ist, eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt.

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