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Bei eisiger Kälte auf dem Appellplatz
Katalog zur Ausstellung »Das Konzentrationslager Sachsenhausen 1936-1945«
Spätestens Stefan Ruzowitzkys Oscar-prämierter Spielfilm »Die Fälscher« machte das Fälscherkommando im KZ Sachsenhausen bekannt. Auch der Schriftsteller Peter Edel gehörte diesem Kommando an, musste Geldscheine und Ausweise fälschen. Heimlich zeichnete Edel andere Häftlinge. 1944 porträtierte er seinen sowjetischen Freund Nicolai Borissow, der in jenem Jahr von der SS ermordet wurde.
Die Zeichnung ist seit April in der ehemaligen Häftlingsküche zu sehen, wo die neue Dauerausstellung »Das Konzentrationslager Sachsenhausen 1936-1945 gezeigt wird. Zu sehen ist das Porträt nun auch im zugehörigen Katalog.
Andere KZ-Gedenkstätten verfügen nicht selten über zentrale Museen mit mehr als 3000 Quadratmetern, erzählt Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Die genannte Ausstellung in der extra sanierten Häftlingsküche erstreckt sich zwar nur über 300 Quadratmeter, die man laut Morsch »in einer Stunde schaffen kann«. Doch die Fülle der Informationen ist so groß, dass es sich durchaus lohnt, den Katalog zu kaufen und daheim in Ruhe zu studieren.
Die Besucher der Gedenkstätte möchten in der Regel die noch vorhandenen historischen Spuren sehen. Doch Gebäude können die Situation im Lager nicht erzählen, weiß Morsch. Das vermag höchstens ein Zeitzeuge wie Nikolai Subarew. Dieser erklärte: »Ich bin nicht in der Lage, die ganzen erlebten Schrecken der Gefangenschaft in den Konzentrationslagern zu beschreiben. Es genügt nur, zu sagen, dass wir hier unsere Namen verloren und zu Nummern wurden.« Der Katalog folgt der Chronologie. Im Folgenden einige wenige Beispiele:
Juli 1936: Hierher verlegte Häftlinge des KZ Esterwegen beginnen während der Olympischen Spiele 1936 mit dem Bau. Sie roden 80 Hektar Wald zwischen Oranienburg und Sachsenhausen und errichten innerhalb eines Jahres 100 Baracken, Kasernen, Wirtschaftsgebäude und Häuser für die SS-Siedlung. Der Bebauungsplan stammte von dem Architekten Bernhard Kuiper. Dieser entwarf ein dreieckiges KZ, das sich vom Wachturm A aus nahezu komplett einsehen ließ.
10. November 1936: Die SS erschießt den ehemaligen KPD-Reichstagsabgeordneten Gustav Lampe – angeblich »auf der Flucht«. Ein SS-Mann warf die Mütze Lampes absichtlich über die Postenkette hinaus und befahl dem Kommunisten, sie zurückzuholen.
15. September 1939: August Dickmann, ein Zeuge Jehovas, wird auf dem Appellplatz exekutiert, weil er aus religiösen Gründen den Wehrdienst verweigert hatte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 367 Mitglieder der seit 1933 verbotenen Glaubensgemeinschaft in Sachsenhausen.
20. November 1939: Die Faschisten verschleppen 1140 tschechische Studenten nach Sachsenhausen. Die Studenten hatten am 28. Oktober, dem Tag der Gründung der Tschechoslowakei 1918, im besetzten Prag demonstriert.
18. Januar 1940: Lagerführer Rudolf Höß lässt bei eisiger Kälte mehr als 800 Häftlinge den ganzen Tag auf dem Appellplatz stehen. Vom Turm A aus sieht der spätere Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz ungerührt zu, wie Häftlinge zusammenbrechen. Höß verbietet, diesen Menschen zu helfen. Bis zum Morgen des nächsten Tages sterben 140.
31. August 1941: Der erste Transport mit 448 sowjetischen Kriegsgefangenen trifft ein. Sie werden auf dem Industriehof ermordet wie 10 000 andere in den nächsten zehn Wochen. »Das ganze Lager ist Zeuge dieser entsetzlichen Tragödie«, äußerte der deutsche Häftling Emilio Büge.
1. Oktober 1942: Der Lagerälteste Harry Naujoks und 17 weitere kommunistische Funktionshäftlinge, die Widerstand geleistet hatten, kommen für 58 Tage Dunkelarrest und Folter in den Zellenbau. Sie erwarten ihre Hinrichtung, gelangen jedoch in einen Steinbruch, wo sie – durch blaue Blechpunkte an der Kleidung gekennzeichnet – zur Ermordung vorgesehen sind. Naujoks überlebt dennoch. Im Katalog ist seine Mundharmonika abgebildet.
22. und 23. April 1945: Sowjetische und polnische Truppen erreichen das KZ und befreien zirka 3400 zumeist kranke Häftlinge.
Günter Morsch und Astrid Ley (Hrsg.): »Das Konzentrationslager Sachsenhausen 1936-1945«, Metropol, 192 Seiten (brosch)., 19 Euro, ND-Buchbestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77
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