Ausbau der Festung Europa
Karl Kopp: Geplanter Abschiebe-Kompromiss ist menschenrechtswidrig
ND: Heute stimmt das Europäische Parlament erstmals über ein gemeinsames Einwanderungsgesetz ab: ein Fortschritt in Sachen Harmonisierung. Ein Grund zum Feiern?
Kopp: Nicht wirklich. Es ist bitter, dass der erste Baustein im Politikfeld Flucht und Migration, den das Europäische Parlament mit entscheidet, ausgerechnet eine sehr repressive Richtlinie sein wird. Falls der Kompromiss angenommen wird, wäre das fatal für Flüchtlinge und Migranten in Europa: mehr und längere Inhaftierung, kein Ende des Wegschließens von Kindern und Familien. Ein fatales Signal und alles andere als ein Grund zum Feiern.
Derzeit gibt es in mehreren EU-Ländern überhaupt keine festgeschriebene Höchstdauer für eine Abschiebehaft. Ist eine Begrenzung auf 18 Monate nicht quasi eine Harmonisierung auf den EU-Durchschnitt?
Es handelt sich schlicht um eine schlechte Gesetzesvorlage. Alle Menschenrechts-Flüchtlingsorganisationen in Europa sagen: Wir wollen keine Richtlinie um jeden Preis. Der vorliegende Kompromissvorschlag ist menschenrechtswidrig. In der Tat argumentieren die Befürworter in die Richtung, dass sie immer noch einen Schurken innerhalb der EU-Staaten finden, der repressiver ist als der Richtlinienvorschlag. Darin ist in der Regel sechs Monate Inhaftierung vorgesehen, aber bis 18 Monate möglich. Deutschland hat sich mit dieser Hardliner-Position gemeinsam mit Malta durchgesetzt.
Bei der Frage der Rechts- bzw. Prozesskostenhilfe für Abschiebungshäftlinge wurde auf deutschen Druck hin eine windelweiche Kann-Bestimmung in den Vorschlag aufgenommen. Diese würde in der Realität dazu führen, dass viele Flüchtlinge und Migranten in Europa kein effektives Rechtsmittel gegen Abschiebungshaft und Abschiebungsanordnungen einlegen könnten.
Der vorliegende Entwurf eröffnet weite Spielräume für die Mitgliedstaaten, ihre schäbigen und menschenrechtswidrigen Praktiken beizuhalten. Er wird die Menschenrechtsstandards nicht anheben, sondern dient als Blaupause für weitere nationalstaatliche Gesetzesverschärfungen. Aus diesen Gründen haben wir die Europaparlamentarier aufgefordert, die Richtlinie abzulehnen.
Wie stehen die Chancen auf Ablehnung der Vorlage?
Schwer zu sagen. Die Fraktionen der Linken und der Grünen haben sich dagegen ausgesprochen. Bei den Sozialisten ist die Lage gespalten. Die Sozialdemokraten in Deutschland stehen den Vorstellungen des Berichterstatters des Parlaments, dem CSU-Abgeordneten Manfred Weber, der den Kompromiss mit den EU-Innenminister ausgehandelt hat, relativ nahe. Sie finden den Kompromiss zwar nicht unproblematisch, halten ihn aber für besser als nichts. Ohne den Kompromiss keine Richtlinie, weil die Nationalstaaten die eh nicht wollen, so ihre Argumentation. Deswegen lieber ein schlechtes Gesetz als gar keins. Die spannende Frage wird sein, inwieweit es Veränderungsvorschläge gibt, die darauf abzielen, die schlimmsten Auswüchse einzudämmen, beispielsweise die lange Haftdauer, die Inhaftierung von Kinder und die Möglichkeit über eine unbestimmte Notstandsklausel die Flüchtlingsrechte auszuhebeln. Findet auch nur ein Veränderungsvorschlag eine Mehrheit, kommt es zu einer zweiten Lesung. Darauf hoffen wir.
Eine Ablehnung der Richtlinie und ihre Verbesserung in der zweiten Lesung wäre die beste Lösung?
Unsere Position ist klar. Wir waren immer für eine europäische Harmonisierung und wir wollen europaweit Menschenrechtsstandards auch in Form von Richtlinien und Verordnungen durchsetzen. Aber wir sagen auch ganz klar: Wir brauchen nicht um jeden Preis eine schlechte und repressive Richtlinie.
Andererseits überlegt die EU-Kommission, den Arbeitsmarkt für bestimmte Kontingente von Migranten aus Afrika legal zu öffnen. Was ist davon zu halten?
Die Überlegungen in der Kommission, legale und gefahrenfreie Zugänge nach Europa zu schaffen, sind zu begrüßen. Aber in der Realität ist der Migrationsbereich und vor allem der Arbeitsmarktzugang immer noch nationalstaatlich geregelt. Es gibt völlig divergierende Praktiken in der EU. Und an der Festung Europa bezogen auf Flüchtlinge und auf bestimmte Migranten, beispielsweise aus Afrika, wird nicht gerüttelt. Im Gegenteil: Es findet eine massive Aufrüstung an den Außengrenzen statt – eine immer wichtigere Rolle spielt dabei die Einsätze der europäischen Grenzagentur FRONTEX, die unter Missachtung der Menschenrechte operiert. Die Todesziffer an den Außengrenzen steigt von Jahr zu Jahr, das Massensterben geht unvermindert weiter eine Zahl. Allein im Jahr 2007 wurden mindestens 1861 tote Flüchtlinge in den Gewässern vor Europa gezählt – die Dunkelziffer ist hoch.
Wie steht es in Sachen EU-Handelspolitik und -Entwicklungspolitik? Sprichworte Agrardumpingexporte und Fischereipolitik, die ja immer wieder für die Verschlechterung der Lebensbedingungen im Süden mitverantwortlich gemacht werden?
Mir ist leider kein Paradigmenwechsel bekannt. Es ist ganz klar, dass der Bereich der verfehlten Agrarsubventionspolitik und der verfehlten Fischereipolitik zentral die Verelendung auf dem afrikanischen Kontinent verursacht. Die lokalen Agrarmärkte werden durch die subventionierten Billigprodukte aus der EU kaputt gemacht, die Fischgründe von EU-Trawlern leergefischt. Das sind unmittelbar Flucht- und Migrationsursachen. Es ist nach wie vor das Gebot der Stunde, den schönen Sonntagsreden echte Taten in Sachen struktureller Armutsbekämpfung folgen zu lassen.
Hintergrund - Abschieberichtlinie und Mitentscheidung
Die »Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger«, legt fest, dass illegale Einwanderer Europa verlassen müssen. Für sie gilt ein fünfjähriges Einreiseverbot. Der Text sieht eine Abschiebehaft von bis zu 18 Monaten vor. Zudem wird ermöglicht, unbegleitete Minderjährige zu inhaftieren und abzuschieben.
Der Ausschuss für Justiz und Inneres hat seine Position zu der von der EU-Kommission ausgearbeiteten Richtlinie bereits im September 2007 festgelegt. In dem entsprechenden Bericht hatten die Abgeordneten des Europaparlaments (EP) allerdings Änderungen bei der Haftdauer gefordert. Am 4. Juni einigte sich der EU-Ministerrat auf einen Kompromisstext, der im Parlament von Konservativen, Liberalen und der Union für ein Europa der Nationen unterstützt wird. Die anderen Fraktionen haben angekündigt, Änderungsanträge im Plenum einzubringen. Insbesondere die linke GUE/NGL-Fraktion lehnt das Vorhaben vehement ab. Sollte die Vorlage des Rates angenommen werden, ist das Gesetzgebungsverfahren mit der heutigen ersten Lesung beendet; wird nur eine Änderung durchgesetzt, geht der Parlamentstext zurück an den Rat.
Dieses Vorgehen basiert auf dem sogenannten Mitentscheidungsverfahren, nach dem bestimmte Rechtsakte von EU-Ministerrat und EP gemeinsam erlassen werden. Es umfasst bis zu drei Lesungen. Im Falle illegaler Einwanderung ist die Mitentscheidung des EP nach einer speziellen Klausel aus dem Amsterdamer Vertrag (1997) und einer Ratsentscheidung erstmals möglich. (sat)
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