Das kriminelle Millionenspiel

Justiz schiebt neuen Berliner Bankenskandal auf lange Bank

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
Banker und Baulöwen stehen seit Jahren unter Anklage – doch der Prozess wird immer wieder verschoben.
Ismail Yüksel
Ismail Yüksel

Ismail Yüksel will endlich aussagen. Seit Jahren wartet er darauf, dass die feinen Herrschaften vor Gericht stehen. Er hat Berge von Material zusammengetragen, sich in Petitionen an Politiker gewandt. Dafür, dass er sich mit modernen Gangstern in Nadelstreifen notgedrungen einließ, bezahlte er mit dem Konkurs seines kleinen Gartenbauunternehmens Gala-Bau. Doch die großen Fische blieben bisher verschont, der Prozessbeginn zieht sich hin. Heute hätte es soweit sein sollen, doch auch dieser Termin vor der 23. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts wurde kurzfristig verschoben – auf den 22. August.

Die juristische Geschichte beginnt mit der Selbstanzeige von Ismail Yüksel im Jahre 2003. Seine Berliner Firma war Pleite gegangen, weil der Auftraggeber seine ausstehenden Rechnungen für Arbeiten in der Lichtenberger Türrschmidtstraße nicht bezahlt hatte. Arbeiter konnten nicht ausgezahlt, Materialrechnungen nicht beglichen werden. Da nahte unverhofft die »Rettung« in Gestalt seines alten und neuen Auftraggebers, des Bauspekulanten Franz Wilhelm Bohr. Alle seine Probleme wären über Nacht gelöst, wenn Yüksel mitspiele, hieß es. Eine Wohnanlage in Wilhelmshorst bei Potsdam mit 92 Reihenhäusern sollte auf einem ehemaligen Sportplatzgelände entstehen. Bedingung: Yüksel mache ein weit überhöhtes Angebot und stelle dann überhöhte Rechnungen. Das Mehrgeld solle in den Schoß des Hauptauftraggebers zurückkehren. »Kick-back« nennt sich diese gängige, kriminelle Praxis in der Finanzwelt. Mit einem hohen Kostenvoranschlag kann der Hauptauftragnehmer seine Kreditwünsche nach oben schrauben und von dem zurückfließenden Geld eigene Verbindlichkeiten abdecken.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte Yüksel zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe und Bußgeld wegen Beihilfe zur Veruntreuung und wegen Betrugs. Doch die Manager auf ihren Chefsesseln blieben bisher unangetastet.

An der Spitze der Angeklagtenliste bei dem jetzt wieder ausgesetzten Hauptverfahren steht der Name Horst Alexander Spitzkopf, einst Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Hypothekenbank (AHB) mit Sitz in Frankfurt am Main (ab 2001: Allgemeine Hypothekenbank Rheinboden, AHBR). Er und die anderen sieben Herren und zwei Damen sollen laut Anklage ein weit verzweigtes Netz von betrügerischen Aktivitäten installiert haben, um kräftig abzukassieren. Laut Staatsanwaltschaft habe die AHB zwischen 1996 und 1999 großzügig Kredite an Bohr verteilt, obwohl klar war, dass bei ihm weder Eigenkapital noch andere Sicherheiten vorhanden waren. Überhöhte und fingierte Rechnungen, Scheinfirmen für manipulierte Abrechnungen – in der Anklage wimmelt es nur so von kriminellen Attributen. Persönliche Freundschaften spielten ebenso mit wie parteipolitische Abwägungen. Ein zweiter Berliner Bankenskandal, nicht ganz so folgenschwer wie bei Landowsky & Co., doch mit der gleichen betrügerischen Energie.

Kaufmann Bohr stand bei mehreren Banken tief in der Kreide. Strafanzeigen und Konkursverschleppung pflastern seinen Weg. Schon 1988 gingen drei Unternehmen aus seinem Firmengeflecht Pleite. Immer wieder konnte er sich dem Zugriff der Justiz entziehen, ein Verfahren wurde 1994 wegen Verjährung eingestellt. Mit dem Auftrag Wilhelmshorst und der Spendierfreudigkeit der Hypothekenbank wollte Bohr sich aus der Schlinge lösen. Doch es herrschte Leerstand in der Wohnanlage, sein Schuldenberg wuchs. Und die Bank geriet wegen gewagter Zinsspekulationen in die Schieflage. Das Pikante: Die AHBR gehörte zu 50 Prozent der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften und zu 39,8 Prozent dem Baufinanzierer BHW. Als das morsche Gefüge der Bank zusammenbrach, mussten der DGB und einige Einzelgewerkschaften mit 383 Millionen und die BHW mit 200 Millionen Euro bürgen. Schließlich wurde die AHBR an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauft.

Spitzkopf gilt als Profi im Wohnungsgeschäft. In einem Beitrag für das »Fachlexikon Immobilienwirtschaft« verkündet er Spielregeln für saubere Geschäfte, die er selbst offensichtlich nicht ganz so ernst nahm. Ein hochdotiertes Golfturnier auf Sylt schmückt sich mit dem Namen Spitzkopf. Er ist Vorsitzender des Stiftungsrates der Multiple Sklerose Stiftung Rheinland-Pfalz und mit der AS Projektentwicklung GmbH in Wiesbaden wieder gut im Geschäft. Drei Jahre nach dem Rauswurf verklagte die Hypothekenbank ihren einstigen Chef und fünf seiner Managerkollegen auf 250 Millionen Schadensersatz – erfolglos.

Ismail Yüksel will nicht Rache, nur Gerechtigkeit – dass auch die zur Verantwortung gezogen werden, die ihn zu kriminellem Handeln genötigt haben. Er leitet heute ein ABM-Projekt in Berlin-Neukölln. Immer wieder stellte er Nachfragen bei der Justiz und suchte Kontakte zu Manager Spitzkopf, der sich mit ihm zweimal in Berlin getroffen haben soll – mit unseriösen Angeboten in der Tasche. Aus der Justizverwaltung bekam Yüksel zu hören und zu lesen, dass die zuständige Kammer mit noch älteren Verfahren und vorrangigen Haftsachen beschäftigt sei. 2005 schließlich wurde Anklage erhoben. Richter wechselten und machten in der Kommunalpolitik Karriere, wichtige Ermittler verschwanden in andere Bereiche. Ob die Justiz Licht ins Dunkel bringen kann, bleibt angesichts der Verflechtungen von Politik und Wirtschaft fraglich. Siehe Bankenskandal Nr. 1, der mit symbolischen Strafen friedlich entschlummert ist.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.