Darf Europa kommen?

  • Gabi Zimmer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Autorin ist Vorsitzende der Delegation DIE LINKE. in der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament.
Die Autorin ist Vorsitzende der Delegation DIE LINKE. in der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament.

Der Legende nach hatte Zeus Prinzessin Europa in sein Reich entführt. Immerhin verwies so Männerfantasie auf die historische Rolle der Fremden: Migration hat die europäischen Gesellschaften bereichert und gehört zu ihrem Alltag. Allerdings könnte die Europa heute nur dann in der EU freundliche Aufnahme finden, würde sie »Humankapital« verbessern. Das legt zumindest der kürzlich von den EU-Innenministern im mondänen Cannes geschaffene »Pakt zu Einwanderung und Asyl« nahe. Die Mitgliedstaaten sollen künftig ihren Arbeitskräftebedarf analysieren und melden, welche »Humanressourcen« sie gern ins Land einreisen lassen würden. Kommen soll nur, wer ökonomisch sofort verwertbar ist. In einem bis zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auf Eis liegenden Gesetzentwurf will die Europäische Kommission künftig die Arbeitserlaubnis für Einwanderer und deren Aufenthaltsrecht zusammenführen. Wer seinen Job verliert und innerhalb von vier Monaten keine neue Arbeit findet, verlöre dann auch sein Aufenthaltsrecht.

Die EU-Kommission sagt klar: »Die Einwanderung leistet einen maßgeblichen Beitrag zu Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand in der Europäischen Union. Der Bedarf an Wirtschaftsmigranten, insbesondere Arbeitskräften mit spezifischen Qualifikationen, wird in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels in bestimmten Branchen und Regionen voraussichtlich steigen.«

Europa darf also kommen, wenn sie jung und hochqualifiziert ist und über konkrete Berufserfahrung verfügt. Sie darf auch Kinder mitbringen, wenn sie Beruf und Familie vereinbaren kann. Europa soll gesund, hoch motiviert sein, politisch nicht stören, ihre Kinder im Anpassungsgriff haben und mit dem Eintritt in das Rentenalter verschwinden. Wehe ihr, wenn sie Asyl sucht. Dann darf sie mit Tausenden vor unseren Küsten ertrinken, gilt nicht als Mensch, sondern als Problem, Belastung und Sicherheitsrisiko. Schließlich ist »das Boot bereits voll«. Erreicht die Verzweifelte dennoch die EU, muss sie untertauchen. Es drohen ihr Rechtlosigkeit, Knast und Abschiebung. Hoffentlich ist sie kein Kinderflüchtling, denn selbst Kinder sind vor Haft und Abschiebung nicht sicher.

Jahrelang konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf Eckpunkte für eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik einigen. Mit ihrem jetzt auf dem Tisch liegenden Pakt setzen sie einen neuen Punkt in Sachen Heuchelei. Er erkennt den kulturellen Gewinn nicht an, den die europäischen Gesellschaften durch Zuwanderung erfahren haben. Er reduziert Zuwanderungswillige auf ihren wirtschaftlichen Gebrauchswert. Er erkennt auch nicht die Leistungen anderer Gesellschaften an, die über Jahrhunderte die Auswanderer oder Flüchtlinge offen aufgenommen haben. Vielmehr bestätigt der Pakt erneut den Ansatz der vor kurzem beschlossenen Rückführungsrichtlinie, von vielen Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen auch als »Richtlinie der Schande« bezeichnet. Diese will vor allem die acht Millionen Menschen, die heute ohne gültige Papiere in der EU leben und arbeiten, nicht mit einem Pass versehen, sondern rausschmeißen. Die weltweite Kritik an der Rückführungsrichtlinie, sowohl von den großen Kirchen als auch von Staatsoberhäuptern Lateinamerikas und Afrikas, interessierte die Innenminister in Cannes nicht.

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