• Politik
  • Internationale Krisendiplomatie

In Sotschi keine gemeinsame Sprache gefunden

Treffen Merkel – Medwedjew in der Schwarzmeerstadt

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Eigentlich sollte es ein ganz normaler Arbeitsbesuch mit schönen Fotos werden: Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Dmitri Medwedjew in dessen Sommerresidenz bei Sotschi am Schwarzen Meer, mit Palmen, Oleander und allem, was noch zu einer Idylle gehört. Schnee von gestern. Es würde, so ein russische Regierungssprecher gestern mit dunkel umwölktem Gesicht, nur noch um das Eine gehen – den Konflikt um Südossetien, das nur 300 Kilometer Luftlinie entfernt liegt.

Moskau hatte Deutschland wie Frankreich, dessen Präsident Nicolas Sarkozy im Auftrag der EU am Dienstag mit Russland und Georgien einen Sechs-Punkte-Plan aushandelte, mehrfach für ihre ausgewogene und neutrale Haltung gelobt. Den Osteuropäern, Großbritannien und den USA dagegen werfen Kreml und Außenamt vor, sich einseitig für Georgien zu engagieren. Der Kurzbesuch in Sotschi war für die Bundeskanzlerin dennoch eine der bisher heikelsten Auslandsvisiten.

Wie Medwedjew auf der gemeinsamen Pressekonferenz gestern im Gegensatz zu seinem deutschen Gast noch einmal betonte, sei das russische Vorgehen angemessen und nötig gewesen, »um die Sicherheitsinteressen unserer Staatsbürger zu schützen«. Nun sei die Sicherheit in Südossetien wiederhergestellt, und sein Land werde sie auch künftig gewährleisten: »Die russischen Friedenssoldaten werden als Garanten im Kaukasus bleiben«, so der Präsident.

Angela Merkel forderte den vollständigen Rückzug der russischen Truppen aus dem georgischem Kerngebiet. Schon vor ihrem Abflug hatte sie Georgiens Recht auf territoriale Integrität ausdrücklich betont. Nach einem Treffen mit den »Präsidenten« von Georgiens abtrünnigen Regionen am Donnerstag sagte Medwedjew, Moskau werde »jede Entscheidung« unterstützen, die die Völker Südossetiens und Abchasiens in Übereinstimmung mit internationalem Recht über ihre Zukunft treffen. Beide Regionen hatten sich mehrfach per Volksentscheid für Unabhängigkeit ausgesprochen, Südossetien sogar für den Anschluss an Russland. Viele Beobachter halten daher eine Lösung, für die die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos den Kammerton vorgegeben hatte, für eine bloße Zeitfrage.

So dürfte Kanzlerin Merkel am Wochenende auch die unangenehme Aufgabe zufallen, eben diese Faktenlage bei ihrem anschließenden Besuch in Tbilissi Georgiens Präsidenten Michail Saakaschwili schonend beizubringen – einem Mann, der seine Emotionen nicht im Griff hat und ums politische Überleben kämpft. Auch mit einer Klage gegen Russland wegen ethnischer Säuberungen und anderer Kriegsverbrechen. Sie liegt dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag inzwischen bereits vor.

Auch Moskau ist mit dem Feinschliff einer ähnlich lautenden Klage gegen Georgien inzwischen so gut wie fertig. Medwedjew brachte Merkel daher die hiesige Sicht der Dinge nahe. Vorbereitet hatte sie vor ihrem Abflug schon Wladimir Kotenjew, Russlands Botschafter in Berlin. Gegenüber deutschen Medien fuhr er schwerstes Geschütz auf: Die georgischen Truppen hätten Frauen und Kinder ermordet, Kirchen voller Flüchtlinge angezündet und ganze Dörfer niedergewalzt. Präsident Medwedjew werde der Kanzlerin konkrete »Beweise für georgische Gräueltaten vorlegen«.

Tatjana Lokschina, die Vizechefin der Moskauer Sektion von »Human Rights Watch«, wiederum warf im russischen Dienst des USA-Auslandssenders Radio Liberty Moskau vor, mit manipulierten Opferzahlen die Hysterie weiter anzuheizen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte in der heißen Phase des Krieges von über 2000 Toten und von Völkermord gesprochen. Heute geht Moskau von 15 000 toten Zivilisten aus.

Lokschina und deren Mitarbeiter gehen nach Befragungen von Ärzten des Krankenhauses in Zchinwali, wo sämtliche Verletzte versorgt und in den Kellern alle geborgenen Leichen gelagert wurden, von 273 Verletzten – die meisten davon schwere Fälle – und 44 toten Zivilisten aus. Lokschina zitierte zudem aus Augenzeugenberichten über Brandschatzungen, Plünderungen, Vergewaltigungen und Erschießungen in den acht Dörfern südlich von Zchinwali mit georgischer Bevölkerung. Diese Gräueltaten würden jedoch auf das Konto der Selbstverteidigungskräfte der Separatisten und deren freiwilliger Helfer aus Südrussland gehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal