250 000 Kubikmeter für 13 Fische
Das Moderlieschen kontrolliert unser Trinkwasser in Friedrichshagen
Wenn es zu sehr modert im Wasser, reagiert das Moderlieschen, lateinisch Leucaspius delineatus, mit einer Veränderung seiner Bewegungsmuster. Der kleine, heimische und zur Familie der Karpfenfische gehörende Flossenträger prüft seit Dienstag die Trinkwasserqualität im Wasserwerk Friedrichshagen.
In einem der drei Maschinenhäuser steht ein mattfarbener Stahlschrank. Öffnet man ihn, sieht man ein 40 mal 40 Zentimeter großes, acht Zentimeter tiefes Aquarium. Dreizehn Moderlieschen schwimmen darin umher – unter der permanenten Beobachtung von dutzenden Bewegungssensoren. Vom dicken Hauptwasserrohr, das die Berliner mit Trinkwasser versorgt, zweigt ein kleiner Nebenstrang ab. Dieses Wasser durchfließt permanent das Aquarium. So »überprüfen« die Fische Tag für Tag bis zu 250 000 Kubikmeter Wasser und sind dabei »unsere billigsten Mitarbeiter«, sagt der Leiter des Labors der Wasserbetriebe, Dietmar Petersohn.
Drei Stockwerke höher sitzen Techniker vor großen Computermonitoren und blicken auf ein im Minutentakt aktualisiertes Gewirr aus Messlinien, Zahlen und Diagrammen. Eine der Linien zeigt die Bewegungen der Kleinfische im Keller. Wenn sie nach oben oder unten stark ausschlägt – die Moderlieschen sich also ungewöhnlich viel oder wenig bewegen oder sich nur in einer Ecke des Aquariums aufhalten – dann stimmt etwas nicht. Dann wird sofort überprüft, woran es liegt, und im Ernstfall das Wasserwerk abgeschaltet. »In erster Linie gewinnen wir dadurch Zeit«, sagt Andreas Deffke, der für die Überwachung der Fische zuständig ist.
Moderlieschen reagieren auf Veränderungen von Sauerstoff- und Salzgehalt, Trübung, pH-Wert und Redoxpotenzial des Wassers, also dem Verhältnis von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Wasser. »Wenn beispielsweise der pH-Wert zu niedrig ist, das Wasser also sauer wird, lösen sich Metall-ionen aus den Wasserleitungen«, erklärt der Leiter der Wasserversorgung, Jens Feddern. Dadurch könne der Schwermetallgehalt des Trinkwassers steigen.
»Aquarium« trifft als Bezeichnung für den Schrank im Keller eigentlich nicht zu. Korrekt heißt der komplexe Apparat »Biotoximeter«. Die Wasserbetriebe seien bei der Kontrolle der Trinkwasserqualität durch lebende Organismen führend, so Feddern.
Das Biotoximeter in Berlin war das erste, das nach einer Testphase nun in den Betrieb integriert wurde. In den Wasserwerken Tegel und Beelitzhof werden in naher Zukunft zwei weitere der bis 15 000 Euro teuren Geräte in Betrieb genommen. Die Wasserbetriebe sichern die Qualität damit »deutlich schärfer, als es das Gesetz verlangt«, ist sich der Vorstand sicher.
Bevor die Moderlieschen in Dienst genommen wurden, hatte man es mit Wasserflöhen probiert, doch das gestaltete sich als schwierig. »Das war, wie den sprichwörtlichen Sack Flöhe zu hüten«, so Petersohn. Die Fische, die bis zu drei Jahre alt und zehn Zentimeter groß werden, müssen mindestens drei Zentimeter messen, sonst entwischen sie durch den Abfluss. Ab fünf Zentimeter, nach weniger als einem Jahr, werden sie schon in den Ruhestand geschickt – Arbeitsbedingungen, wie man sie sich erfrischender kaum vorstellen kann.
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