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Die vergessene »Verfertigerin«

Vor 175 Jahren erhielt mit Margarethe Caroline Eichler die erste Frau in Preußen ein Patent für zehn Jahre

  • Maria Curter
  • Lesedauer: 4 Min.
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Berlin ein führender Industriestandort. Seine Erfindungen gingen um die Welt, blieben regional begrenzt oder gerieten in Vergessenheit. Diese ND-Serie spürt einigen der Pionierleistungen von damals nach.

»Der unverehelichten Karoline Eichler hierselbst ist unterm 23. November 1833 ein auf Zehn hinter einander folgende Jahre, (…) , und für den ganzen Umfang des Preußischen Staats gültiges Patent: auf ein, in seiner ganzen Zusammensetzung für neu und eigenthümlich anerkanntes künstliches Bein zum Ersatze des Ober- und Unter-Schenkels, ertheilt worden«, vermeldet die »Allgemeine Preußische Staats-Zeitung« vom 1. Dezember 1833.

Margarethe Caroline Eichler wurde als dritte Tochter des Malers Johann Gottlieb Eichler 1808 oder 1809 vermutlich in Nordhausen geboren. Um 1826 arbeitete sie als Kindermädchen bei der Familie Sperling in der Friedrichstraße (Mitte), deren Oberhaupt »Bratenspicker« beim Prinzen Wilhelm war. Ob sie eine Ausbildung hatte, ist unbekannt. Höhere Schulbildung, Lehre oder Studium war Mädchen im 19. Jahrhundert gewöhnlich verwehrt. 1832 hatte sie die erste bewegliche Beinprothese geschaffen. Bis dato war der Stelzfuß, ein unbewegliches Stück Holz, das an den Stumpf angeschnallt wurde, üblich. Tischler, Schmiede oder Sattler bauten ihn.

Am 11. Juli 1833 richtete sie ein Patentgesuch an König Friedrich Wilhelm III.: »Uebereinstimmend mit der allgemeinen Menschenpflicht, gebietet unsere heilige Religion: das menschliche Elend (…) so weit als möglich zu mindern. Durchdrungen von diesem Gefühl, fand ich mich davon besonders angeregt, wenn ich bei Ausübung meines Geschäfts der Krankenpflege die mannigfaltigen Leiden solcher Unglücklichen wahrnahm. (…) So verfolgte ich die Idee, (…) eine Maschine zu erfinden und darzustellen, welche tauglich sei, den erlittenen Verlust des Beines der betreffenden Person wenigstens insofern weniger empfindlich und nachtheilig zu machen, dass sie, vermittelst derselben, sich frei und leicht bewegen könne, auch zur Verrichtung von Geschäften fähig sei«. Weiterhin erläutert sie: »Es ist nämlich zum Gelingen meines Unternehmens nothwendig, dass, wenigstens in den ersten Jahren, die Anfertigung dieser Maschinen, nach meiner speciellen Anordnung und unter meiner Leitung geschehe, damit nicht durch Pfuscherei der Zweck vereitelt werde, und auch die Beschaffungskosten der Maschine, dem ihrer Bedürfenden nicht willkührlich, mit Verletzung der Billigkeit, unverhältlich in die Höhe getrieben werden können. Diese nicht unbegründete Besorgnis würde dadurch völlig gehoben werden, wenn mir, zur ausschließlichen Anfertigung und zum Verkauf dieser Maschine, ein Patent auf zehn Jahre ertheilt würde«.

Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen, der der Chef des Militair-Medizinalwesens von Wiebel, der Geheime Obermedizinalrat Dr. Kluge sowie Professor Dieffenbach angehörten, bescheinigte am 18. September 1833: »dass das von der Caroline Eichler erfundene künstliche Bein (…) ein hinsichtlich seines Mechanismus ganz neuer und eigenthümlicher Apparat sey, der es daher wohl verdient, patentiert zu werden«.

Drei Jahre später, am 24. November 1836, erhielt sie ein weiteres Patent, diesmal auf eine künstliche Hand. Der Mechanismus dieser Hand gestattete eine sechsfache Bewegung. Im Gegensatz zu männlichen Zeitgenossen, die Hände konstruiert hatten, um Karten spielen, einen Degen halten oder eine Feder führen zu können, ermöglichte die Eichler´sche Konstruktion Zöpfe flechten, Nähen, Gitarre spielen und Gegenstände bis zu 18 Pfund anzuheben. Fortan firmierte sie als »Verfertigerin künstlicher Füße und Hände«. Sie wohnte in der Charlottenstraße 35, Mohrenstraße 66, in der Louisenstraße 15 und Unter den Linden Nr. 70 (Mitte). Nach ihrer Heirat am 30. Oktober 1837 mit dem Mechaniker Friedrich Eduard Carl Krause lebte sie in der Behrenstrasse 1a (Mitte).

Am 6. September 1843 wurde sie ermordet. Mehrere Zeitungen berichteten darüber. Im wöchentlichen Rapport des Polizeipräsidenten an den König heißt es: »zum Criminal-Arrest wurden gebracht: der Mechanikus Krause wegen Mordes«. Das Ereignis veranlasste Polizeipräsident Schuckmann am 7. September 1843 noch einen gesonderten Bericht zu geben. »Eurer Königlichen Majestät zeige ich alleruntherthänigst an, dass der Mechanikus Carl Friedrich Eduard Krause, 27 Jahre alt, aus Bielefeld gebürtig, ein liederlicher und dem Trunke ergebener Mensch, gestern Abend gegen 9 Uhr seine separirte Ehefrau, Margarethe geborene Eichler, 34 Jahre alt, in deren Wohnung Taubenstraße Numer 47, durch Stiche mit einer zugespitzten Feile ermordet hat. Der Krause, obwohl seit Jahr und Tag rechtskräftig von der Ermordeten geschieden, besuchte dieselbe doch noch zuweilen, um von ihr Geld zu erpressen. Dasselbe geschah auch gestern Abend, bei welcher Gelegenheit er mit ihr in Zank gerieth und die That verübte.«

Den heutigen Orthopädietechnikern ist Caroline Eichler mit ihren Erfindungen ein Begriff, hat sie doch ein völlig neues Prothesenprinzip entwickelt. Im Gedächtnis Berlins fehlt sie – kein Platz, keine Straße und keine Gedenktafel erinnern an sie.

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