Das gesunde Bein behindert ihn mehr

XIII. Paralympics: Heinrich Popow will Wojtek Czyz über 100 Meter beerben

  • Holger Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach den Paralympics 2004 in Athen war Wojtek Czyz der bekannteste deutsche Athlet. Sein Dreifach-Triumph endete mit einer spontanen Umarmung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Ab Sonntag könnte Heinrich Popow der »neue Wojtek Czyz« sein. Der 25-Jährige hat den drei Jahre älteren Czyz in dessen Leistungsklasse über 100 m deutlich überholt, geht als Favorit in den Wettbewerb am Samstag und Sonntag in Peking und ist darüber hinaus das, was man einen »echten Typen« nennt: Pfiffig und selbstbewusst, charmant und einnehmend. »Wojtek war 2004 das Beste, was uns passieren konnte«, sagt der Systemadministrator bei Bayer in Leverkusen: »Aber nun liegt es an mir, ihn abzulösen.«

Dabei findet es Popow schade, dass es im Sprint nicht zum direkten Duell kommt, doch die beiden Deutschen haben so etwas wie ein interne Absprache. »Ich konzentriere mich auf die 100 m, er auf den Weitsprung«, sagt Popow. Doch während er im Sprung an den Start gehen wird, lässt der inzwischen für Kaiserslautern startende Czyz den Sprint wegen einer Fußverletzung völlig aus. Dabei ist dieser für Popow »die Formel 1 der Leichtathletik und des Behindertensports. Wir verbinden Technik mit Geschwindigkeit.«

Sollte der gebürtige Usbeke, dem 1992 wegen einer Krebserkrankung der Unterschenkel amputiert wurde, am Sonntag zu Gold sprinten, würde er ein ideales mediales Umfeld für seine Leistung vorfinden. Nachdem Czyz den deutschen Markt vor vier Jahren öffnete, machte vor den laufenden Paralympics »Blade Runner« Oscar Pistorius aus Südafrika, ein weiterer Stelzen-Sprinter, die meisten Schlagzeilen – wenn auch in einer anderen Leistungsklasse. »Er hat sich fast für Olympia qualifiziert. Dadurch hat er etwas ganz Großes geleistet«, sagt Popow: »Dadurch hat er gezeigt, dass man kein Mitleid mit uns haben muss, sondern dass wir richtig Sport treiben. Im Fernsehen durften wir bisher ja allenfalls mal zu Aktion Mensch, aber das reicht uns nicht. Wir wollen auch ins Sportstudio.« Heinrich Popow, wie er leibt und lebt.

Bei einem PR-Termin ergreift er immer wieder das Wort und spricht frisch von der Leber weg. Er dankt dem Sponsor dafür, dass er nur noch einen Halbtagesjob machen müsse. »In Athen bin ich beeindruckt von der Kulisse 13,00 Sekunden gelaufen. Dann habe ich dreieinhalb Jahre vergeblich versucht, mich zu verbessern«, erzählt er: »Seit ich viel mehr trainieren kann, hab ich mich in einem halben Jahr auf 12, 48 und Platz zwei der ewigen Bestenliste verbessert.« Die Sponsoren strahlen. »Aber wahrscheinlich liegt es an etwas anderem«, fügt Popow schmunzelnd an: »Ich bin beim Training jetzt der Hahn im Korb. Und welcher Mann verliert schon gern gegen Frauen?«

Ganz schlimm findet er die Material-Diskussion, die seit Pistorius entbrannt ist. »Wenn ich einem anderen Athleten meine Prothese geben würde, würde der wahrscheinlich erstmal rückwärts laufen«, meint er. Er selbst kommt prima damit zurecht. Und wäre kurioserweise wohl noch schneller, wenn er wie Pistorius zwei Prothesen hätte: »Mein gesundes Bein ist meine eigentliche Behinderung. « sid

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