Schwarz-Weiß-Rot und Picassos Friedenstaube

Vor 50 Jahren: Der Kampf um die Rückgabe von Helgoland

  • Michael Herms
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Die Helgoländer blicken auf eine äußerst wechselvolle Geschichte zurück. Der rote Nordseefels galt seit jeher als ein wichtiger Fixpunkt in der stürmischen See - für den Handel der Hansestädte und ihrer dynastischen Konkurrenten im Mittelalter wie für militärische Kontrahenten. Und so nimmt es kaum Wunder, dass Helgoland über 1000 Jahre immer wieder einen Zankapfel im Kampf um die Hegemonie im Nordseeraum darstellte und viele Flaggenwechsel erlebte. Dort flatterten das Banner des Herzogtums Schleswig-Gottorp, der dänische »Danebrog«, der britische »Union Jack«, das Schwarz-Weiß-Rot Preußens und die deutsche Seekriegsflagge, bis sie im Mai 1945 durch die Weiße Fahne ersetzt wurde. Vierzehn Tage zuvor erlebte Helgoland ein Bombardement, das seine Gebäude in Trümmer zerlegte und eine Evakuierung der Bevölkerung notwendig machte.
Die Briten verzichteten nach der Inselübernahme auf eine Flaggenhissung. Sie gingen bei der im Potsdamer Abkommen festgelegten Demilitarisierung auf brachiale Weise vor und zündeten im Frühjahr 1947 in der Operation »Big Bang« 6500 Tonnen deutsche Munition. Einige Felsstücke stürzten ins Meer, insgesamt aber hielt Helgoland stand. In der Folge diente die Insel der britischen Luftwaffe als Übungsziel für Bombenabwürfe. 1948 sandten die in mehr als 100 Orten lebenden Helgoländer ungehörte Appelle an die UNO, die Briten und deutschen Behörden zwecks Rückkehr und Erhalt ihrer Heimat.
Nach der Gründung der Bundesrepublik erwuchs das Helgoland-Problem zu einer Frage der nationalen Souveränität. Dieser verliehen kurz vor Weihnachten 1950 zwei Heidelberger Studenten durch eine Inselbesetzung, mit der sie ein Ende der Bombardements zu erzwingen suchten, eine große Publizität. Eine personell erweiterte Inselbesetzung unter Mitwirkung des Prinzen Hubertus zu Löwenstein zwang zum Jahreswechsel 1950/51 die Briten zu einem ambivalenten Handeln: Sie holten die Besetzer von der Insel und erließen die Militärverordnung Nr. 224, wonach für das Betreten von Helgoland eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr drohte. Andererseits kündigten sie an, dass Helgoland möglicherweise im Tausch gegen ein anderes Bombenziel an die BRD übergeben werden könnte. Trotz aufgenommener Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Engländern folgten weitere Bombenflüge der Royal Air Force.
In der DDR betrachtete man die »Aktion Helgoland« mit Zwiespalt. Der SED missfiel Prinz zu Löwensteins Auffassung, die Aktion diene allen Heimatvertriebenen. »Neues Deutschland« beschränkte sich daher Anfang Januar 1951 auf zwei knappe Berichte über die von der Besatzungsmacht angedrohten Repressionen gegenüber Verstößen der Verordnung 224. Das passte ins Konzept der Schaffung einer Nationalen Front und in den Kampf gegen die Remilitarisierung. So schien es opportun, die westdeutsche FDJ »in die Helgoland-Aktion einzuschalten«. Deren Inselbesetzung sollte sich von den bisherigen »Invasionen« unterscheiden und ein bündnispolitisches Signal für den »Friedenskampf breiter Volksmassen gegen die Interventen« setzen. Ein Sonderstab kümmerte sich um die Vorbereitungen und Begleitung einer ganzen Landungsserie. Man sammelte Freiwillige aus allen Landesteilen in einem VVN-Heim bei Hamburg, darunter auch Mitglieder aus Sportvereinen, aus der Gewerkschafts-, aus der Guttempler- und der Europa-Jugend bzw. von den SPD nahen »Falken«.
Am 23. Februar 1951 startete eine erste Gruppe mit sieben jungen Leuten aus Norddeutschland nach Helgoland. Dort hissten sie Schwarz-Rot-Gold, die Helgoland-Fahne sowie die »Weltfriedensfahne« mit der von Pablo Picasso gestalteten Friedenstaube. Kapitän Edmund Hülse aus Hamburg gab die Landung der Jugendlichen bekannt und versandte vorbereitete Telegramme an die Regierungen der BRD und der DDR mit der Bitte, sich für die Einstellung der Bombardierungen einzusetzen. An den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dibelius, erging folgende Depesche: »Delegation junger Deutscher hat am 23.2.51 die deutsche Insel Helgoland besetzt. Sie haben mit der Instandsetzung des Friedhofs... begonnen und bitten, einen Geistlichen zur Weihe des Friedhofs zu entsenden. Fordern Sie bitte Ihre Amtsbrüder auf, die jungen Deutschen auf der Insel Helgoland zu unterstützen.« Die knappe Antwort des konservativen Kirchenmannes lautete: »Bei aller Liebe zu Helgoland - Evangelische Kirche ist keine Hilfstruppe für politische Abenteurer.« Die Aktion stieß bei einigen Helgoländern auf Wohlwollen, bei anderen auf Distanz.
Am 26. Februar 1951 brachte man die »Besetzer« der FDJ ins Gefängnis nach Lübeck, wo ihnen zehn Tage später vor dem Hohen Militärgericht der Kontrollkommission wegen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 224 ein Prozess gemacht wurde. Die Angeklagten erhielten je drei Monate Gefängnis, die Strafe wurde jedoch in sechs Fällen auf ein Jahr Bewährung ausgesetzt. Lediglich der Leiter der Gruppe, der Hamburger Kunststudent Klaus-Peter Goettsche, musste die Haftstrafe absitzen.
In der Propaganda von SED, KPD und FDJ spielten diese und andere Urteile gegen weitere Helgolandbesetzer eine große Rolle, während sich die westdeutsche Presse hinsichtlich einer Berichterstattung über weitere FDJ-Aktionen zurückhielt. Sie ignorierte diese weitgehend ebenso wie die von der KPD in Hamburg gegründete »Deutsche Bewegung Helgoland«. Die weiteren Landungen auf Helgoland organisierte die FDJ auch als einen Teil der Kampagne zur »Volksbefragung gegen die Remilitarisierung«, gegen die westdeutsche Autoritäten mit aller Schärfe, Ende April 1951 schließlich mit einem Verbot vorgingen. Ein Verbot ereilte wenig später auch die westdeutsche FDJ.
Die FDJ hatte mit ihren »Besetzungen« zur verstärkten Thematisierung der Helgoland-Frage und der politischen Bemühungen im Hintergrund beigetragen. Schon nach der ersten Besetzung signalisierte der britische Hochkommissar Kirkpartrick am 26. Februar 1951, Helgoland werde bis zum 1. März 1952 freigegeben. Er legte Wert auf die Betonung, die Entscheidung hinge nicht mit »kommunistischen Demonstrationen« zusammen, sondern sei ein Ergebnis längerer Verhandlungen. Tatsächlich stellte Kirkpatricks Erklärung eine Antwort auf ein deutsches Aide-mémoire vom 14. Januar 1951 dar. Allerdings war die darin enthaltene Zusage an Bundeskanzler Adenauer daran gebunden, dass die Deutschen bis zur Inselübergabe für die Einhaltung der Verordnung Nr. 224 und für Ersatzbombenziele sorgten. Und während am 28. Februar 1951 die Kieler Landesregierung über erste Wiederaufbaupläne nachdachte, bombardierten britische Flugzeuge erneut die Insel.
Erst am 1. März 1952 kam Helgoland mit einem Festakt an die BRD. Der mühevolle Wiederaufbau der zwei Mal hoch gerüsteten Festung zu einem friedlichen Erholungsort ist ein Beispiel gelungener Konversion.
Im Ch. Links Verlag Berlin erscheint demnächst vom Autor der Text- und Bildband »Flaggenwechsel auf Helgoland. Der Kampf um e...

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