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Pflegeheime am Pranger: 3000 Suizide pro Jahr
Gesellschaft für Humanes Sterben fordert nicht-staatliche Kontrolle
»Graue Panther«-Gründerin Trude Unruh propagiert selbstverwaltete Wohngemeinschaften für alte Menschen. Ein Grund: »In deutschen Pflegeheimen sterben jährlich rund 10000 Menschen auf Grund inhumaner Lebensbedingungen. Pro Jahr begehen dort bis zu 3000 Schmerzpatienten Selbstmord, weil es keine geeignete Schmerztherapie gibt.«
Diese schweren Vorwürfe erhob Rechtsanwalt Alexander Frey vom Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen bei einer Podiumsdiskussion der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) im Intercity Hotel in München. Die DGHS hatte in dem Bemühen, den Pflegenotstand mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken, kürzlich unverhofften Beistand erhalten, als auch die Vereinten Nationen die »menschenunwürdigen Bedingungen in Pflegeheimen infolge von strukturellen Mängeln im Pflegebereich« kritisierten. Die DGHS fordert deutlich mehr Pflegekräfte und zusätzliche Kontrollinstanzen.Trude Unruh, Gründerin und Vorsitzende der Partei »Die Grauen - Graue Panther«, propagiert selbstverwaltete Wohngemeinschaften für Alte. »Lasst uns leben, wo wir wollen«, macht sich die streitbare Graue Pantherin zum Sprachrohr der Senioren. Menschenrechts- und Verfassungsverletzungen werden auch im Parallelbericht zum vierten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland über die Umsetzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beim Namen genannt. Vorgelegt wurde dieser vom »Forum zur Verbesserung der Situation pflegebedürftiger alter Menschen in Deutschland«. Er belegt eine »anhaltende menschenunwürdige Behandlung in einer Vielzahl von deutschen Pflegeheimen« und weist auf zahlreiche erschreckende Missstände hin: Bis zu 35Prozent der Bewohner sind unterernährt; etwa 36Prozent leiden an Austrocknung; jeder dritte Heimbewohner leidet unter Schäden infolge mangelhafter Pflege, nur bei 4,9Prozent war die Pflege angemessen. In den wenigsten Fällen sind die in Abhängigkeitsverhältnissen lebenden Menschen in der Lage, ihre Rechte einzuklagen. Auf Kosten der alten Menschen werden ausgebildete Fachkräfte und zugestandene Leistungen reduziert und damit Geld eingespart.
Erniedrigung bis hin zur Folter
Der DGHS urteilt: »Ein Altwerden in Würde ist in deutschen Pflegeheimen nicht mehr möglich.« Geschäftsführer Kurt F. Schobert zufolge, gibt es in deutschen Pflegeheimen Erniedrigung »und sie reicht bisweilen an Folter heran«. Für Schlagzeilen sorgte kürzlich der Münchner Sozialarbeiter und Pflegeexperte Claus Fussek mit der Behauptung: »In deutschen Pflegeheimen kostet das Verhungern und Verdursten 3000 Euro an Heimentgelt.« Etwa 200000 Pflegekräfte sind in Deutschlands Altenheimen beschäftigt, laut DGHS mindestens 40000 zu wenig. »Da kommt es vor, dass nachts um halb drei mit dem Waschen begonnen wird. Und das bei 3000 Euro im Monat«, berichtete Fussek.
Laut Rechtsanwalt Frey erleiden Menschen dort täglich Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen. Statistisch gesehen ist jeder 20. Bundesbürger im Alter auf ein Pflegeheim angewiesen. Dennoch nimmt die Öffentlichkeit bisher kaum Notiz vom Pflegenotstand. Fussek will den Schwarzen Peter nicht der Politik zuschieben: »Die Politik reagiert, wenn die Bevölkerung ein Thema interessiert. Aber es interessiert die Bevölkerung nicht.« Die DGHS fordert zusätzliche, nicht-staatliche Einrichtungen, die kontrollieren, wie es den Pflegeheimbewohnern tatsächlich geht. Graue Panther-Chefin Trude Unruh tritt vehement dafür ein, selbstverwaltete Wohngemeinschaften für alte Menschen zu gründen, wo sie »familienähnlich« wohnen können. »Die Hälfte aller Altenheimbewohner will anders leben, aber der Staat lässt sie nicht«, führte Trude Unruh ein aktuelles Umfrageergebnis ins Feld. Mit Vereinen habe sie schlechte Erfahrungen gemacht. »Macht Schluss mit den Wohlfahrtsverbänden. Das ist eine korrupte Clique«, verstieg sich die oberste »Pantherin« zu Polemik.
Ein Fingerzeig von Rechtsanwalt Frey deutete an, wo der Hase im Pfeffer liegt: »Es gibt eine Lobby gegen selbstverwaltete Wohngemeinschaften, weil man damit nichts verdienen kann.« Seit Jahren fordert die DGHS: »Weg mit dem Profitdenken bei Alten- und Pflegeheimen!« Überhöhten monatlichen Zahlungen von Kranken und Pflegebedürftigen stünden oft minimale Leistungen gegenüber.
Überfordertes Personal kostet Milliarden
DGHS-Bundesschatzmeister Dietrich-Eckart Steller forderte, »die unzumutbaren Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals unverzüglich zu verbessern«. Auch riet er, frühzeitig einen »Patientenanwalt« festzulegen, der sich im Alter um die Belange des Betreffenden kümmert. Anwalt Frey zufolge entstehen der Volkswirtschaft jährlich Milliardenschäden, weil das Personal in den Pflegeheimen völlig überfordert ist und »verheizt« wird. Es fehle an qualifiziertem, angemessen bezahltem Personal sowie an bezahlten medizinischen Leistungen für Gespräche und menschliche Zuwendung. DGHS-Präsident Wichmann: »Uns fehlt es vor allem an der Bereitschaft, ausreichend Geld für eine menschenwürdige Versorgung von alten,...
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