• Türkei - Geschichte

Finanziert von der Deutschen Bank

Die Bagdadbahn – Vehikel einer »friedlichen Durchdringung«

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 100 Jahren war für die deutschen Bildungsbürger der Name »Bagdad« von einem romantischen Zauber umweht. Dort hatte der legendäre Kalif Harun ar-Raschid (786-809) residiert, hier spielten zahlreiche der Märchen aus »Tausendundeiner Nacht«. Bagdad galt als Symbol für die geheimnisvolle Welt des Orients und für märchenhafte Reichtümer. So erregte denn auch das Projekt einer Eisenbahnlinie, die von Konya (im Südwesten Anatoliens) über Bagdad bis zur Küste des Persischen Golfs führen sollte, in Berlin, London und St. Petersburg die Gemüter. Beim Namen »Bagdadbahn« schwang der Gedanke an alte Herrlichkeit mit. In den Vorstellungen, denen die Akteure des Projekts nachhingen, paarte sich nüchternes Kalkül mit verstiegenen Visionen.

Während seiner Orientreise 1898 verhandelten der deutsche Kaiser Wilhelms II. und der Direktor der Deutschen Bank, Georg von Siemens, mit Sultan Abd-ül Hamid II. über das große Bahnprojekt. Die Initiative für den Bau einer solchen Trasse war von Abd-ül Hamid ausgegangen, zu dessen Reich auch der heutige Irak gehörte. Der verschlagene Despot war brennend daran interessiert, dass die 1888 bis 1896 gebaute Strecke von Konstantinopel (dem heutigen Istanbul, damals auch »Stambul« genannt) nach Konya bis zum Golf hin fortgeführt würde. Eine solche durchgehende Bahnverbindung besaß für das rückständige Osmanische Reich eine enorme wirtschaftliche und militärstrategische Bedeutung.

1902 erhielt die von der Deutschen Bank gegründete Anatolische Eisenbahngesellschaft für 99 Jahre das Recht, die 3200 Kilometer lange Bahn von Konya bis zum Golf zu bauen und zu betreiben sowie in den Regionen, die von der Bahn durchquert würden, die Bodenschätze abzubauen. 1903 wurde die Bagdadbahngesellschaft gegründet, an der auch französisches Kapital beteiligt war. Die Leitung dieser war fest in den Händen der Deutschen Bank. Präsident der Gesellschaft wurde der neue Direktor der Deutschen Bank, Arthur von Gewinner. Im Juli 1903 begannen die Bauarbeiten, und im Oktober wurde der 200 Kilometer lange Streckenabschnitt Konya - Bulgurlu in Betrieb genommen. Bei allem Hin und Her der deutschen »Weltpolitik« blieb der Bau der Bagdadbahn – die Wilhelm II. »meine Bahn« nannte – fortan eine strategische Konstante und die Türkei das Hauptbetätigungsfeld deutscher Expansionspolitik.

Die »friedliche Durchdringung« der Türkei schritt zügig voran. So stiegen die deutschen Investitionen zwischen 1880 und 1914 von 40 Millionen Mark auf 600 Millionen. Deutsche Firmen verdienten am Streckenbau und an den Materiallieferungen. Die Anleihen, die deutsche Banken dem türkischen Staat zum Bahnbau gaben, brachten ihnen um 1912 pro Jahr 20 Millionen Mark Zinsen ein. Parallel dazu konnte Deutschland auch seinen politischen Einfluss ausbauen.

Das alarmierte die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und Russlands, die vitale politische, ökonomische und militärstrategische Interessen bedroht sahen. Sie taten alles, um das Vorhaben zu sabotieren. Ab 1904 kam der Bahnbau für mehrere Jahre völlig zum Erliegen. Erst ab 1911 konnte der Bau der Bagdadbahn zügig fortgesetzt werden. Dabei wurden komplizierte ingenieurtechnische Probleme gelöst, so der Bau des großen Taurustunnels. 1918, als das Osmanische Reich zerfiel, fehlte an der Bahntrasse nur ein 300 Kilometer langes Teilstück im Norden des heutigen Irak. Dieses Stück wurde erst 1940 fertiggestellt. Am 15. Juli 1940 fuhr zum ersten Male ein Zug von Istanbul nach Bagdad.

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