Gaudi am Brett

Mit sieben Spielern hoch die Tassen

  • René Gralla
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Männer beiderseits eines Brettes schieben stumm Figuren auf 64 Feldern herum. Zu Beginn und am Ende des Matches ein kurzer Händedruck, das ist das Maximum an Kommunikation. Wie das gerade laufende WM-Duell zwischen Titelverteidiger Viswanathan Anand und Wladimir Kramnik demonstriert, ist Schach eine ziemlich spröde Angelegenheit, die sich kaum dafür eignet, eine gesellige Runde zu unterhalten.

Und doch kann auch der Mattsport eine echte Gaudi sein, die nicht zuletzt Trinkfestigkeit verlangt. Das hat vor einem guten Millennium im Reich der Mitte der Historiker und Staatsmann Sima Guang (1019 - 1086) bewiesen. »Qiguo Xiangqi« heißt das ausgefallene Konzept, das sich zwar an die chinesische Schachvariante »Xiangqi« anlehnt, diese aber zugleich weiterentwickelt und von verschiedenen Seiten des Brettes für sage und schreibe sieben Teilnehmer spielbar macht.

Sima Guang, dessen Monumentalwerk »Zi Zhi Tong Jian« (auf deutsch ungefähr: Umfassender Spiegel zur Unterstützung bei der Regierung) in 249 Bänden fast 1400 Jahre chinesischer Geschichte nachzeichnet, wollte auf einem Go-Brett die Periode der Streitenden Reiche von 403 bis 221 vor unserer Zeitrechnung nachstellen. Sieben Parteien repräsentieren die einst verfeindeten Teilstaaten Qin (Weiß), Yan (Schwarz), Chu (Rot), Wei (Grün), Han (Zinnober), Qi (Dunkelblau) und Zhao (Purpur). Die Konkurrenten am Tisch können jeweils 17 Einheiten mobilisieren, von Fußsoldaten bis zu Bogen- und Armbrustschützen sowie Reitern. Außerdem Artillerie, aber auch Diplomaten, die nicht kämpfen, sondern zwischen den Fronten pendeln und neue Bündnisse schmieden. Sobald einer der Sieben den kommandierenden General oder zehn Steine verloren hat, fliegt er aus dem Rennen. Schaltet ein Spieler zwei seiner Gegner aus, wird er zum Diktator ausgerufen, und die anderen müssen kapitulieren.

Trotzdem braucht auch dann niemand Trübsal zu blasen, weil »Qiguo Xiangqi« nicht nur zum Grübeln einlädt, sondern eine echte Gaudi ist. Hat sich nämlich einer tatsächlich zum Diktator aufgeschwungen, heißt es nach dem Regelwerk »Hoch die Tassen!«, eine Runde Bier oder »Bai Jiu«, der aus bestimmten Getreidesorten gebrannt wird. Jetzt schwappt die Stimmung endgültig über, schließlich ist meist schon lange vor dem Finale kräftig gebechert worden. Schuld daran hat ein hochprozentig wirksames Penaltysystem: Regelwidrige Züge werden mit dem zwangsweisen Leeren eines Glases geahndet. Die gleiche Sanktion trifft denjenigen, dessen General unter Feuer gerät und ein Schachgebot angesagt kriegt.

Für dieses Spiel brauchen wir:

1. Spielplan ist ein Go-Brett mit 19 x 19 Linienschnittpunkten.

2. Go-Steine symbolisieren die je 17 Einheiten der sieben Teilnehmer, das sind insgesamt 119 Figurensymbole. Die verbleibende Nummer 120 wird gelb koloriert und als neutrales, unberührbares Königreich Zhou auf dem Zentralpunkt des Brettes platziert.

3. Ergänzend zu 17 weißen beziehungsweise schwarzen Go-Steinen (für Qin und Yan) wird das restliche Spielmaterial purpur (Zhao), grün (Wei), zinnober (Han), dunkelblau (Qi) und rot (Chu) eingefärbt.

4. Nun müssen Symbole der verschiedenen Truppenteile auf die Steine der sieben Armeen gemalt werden: ein General, ein stellvertretender Kommandeur, ein Offizier, ein Diplomat, ein Bogenschütze, ein Armbrustschütze, zwei Fußsoldaten mit Schwert, vier Fußsoldaten mit Breitschwert, vier Reiter, eine Kanone.

5. Bier und »Bai Ji« in ausreichender Menge im Kühlschrank bereithalten für strafweise Drinks.

Die Regeln des »Qiguo Xiangqi« sind zu finden unter: www.chessvariants.com/xiangqivariants.dir/chin7.html

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