Milzbrandwolke über der Metro
Biowaffen - seit der Antike im Einsatz zum Massenmord
Eine neue Angst geht um - die Angst vor Biowaffen. Geschürte Hysterie oder reale Gefahr? Die US-Regierung will ihr Budget für Biowaffen bis 2003 verdreifachen und auf 5,9 Milliarden Dollar aufstocken, wie »Die Zeit« in ihrer jüngsten Ausgabe berichtete. Am Montag haben in Kuweit US-amerikanische und deutsche Truppen die Abwehr von ABC-Waffen geprobt. Die Frage bleibt: Wie können Produktion, Verbreitung und Einsatz von Biowaffen verhindert werden? Dass diese keine Erfindung der »Moderne« sind, zeigt unser Autor.
Der griechische Historiker Herodianos, der im 3. Jahrhundert u.Z. lebte, berichtet davon, wie die Einwohner der von den Römern 201 u.Z. belagerten Stadt Hatra im nördlichen Mesopotamien (heute auf dem Gebiet des Irak) Gefäße mit Ungeziefer, Spinnen und kleinen giftigen Tieren von der Stadtmauer herab auf die Angreifer warfen. Das Getier, das unter die Rüstungen kroch oder sich in die unbedeckten Teile des Körpers verbiss, machte den römischen Legionären schwer zu schaffen. Diese durchaus wirksame Abwehrattacke war für Kaiser Septimus Severus ein Grund mehr, die Belagerung und Blockade abzubrechen. Eine in den Kriegen des Mittelalters und der Neuzeit häufig geübte Praxis bestand darin, mit Krankheitserregern verseuchte Tier- und Menschenkadaver oder Kleidungsstücke in das gegnerische Lager zu befördern, so auch Pestleichen, die über die Mauern eingeschlossener Städte geschleudert wurden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, während der Kriege in Nordamerika, sorgten die Briten dafür, dass mit Pocken infizierte Decken in die Hände der ihnen feindlichen Indianer gelangten. Die Folgen waren furchtbar. Tausende Eingeborene starben, denn sie waren der ihnen bis dahin unbekannten Krankheit hilflos ausgeliefert. 1804 sah sich der französische Kriegsminister Louis-Alexandre Bettbier gezwungen, seine Untergebenen über Gerüchte zu informieren, dass die Engländer die Absicht hätten, sechs- bis siebentausend Säcke mit pestverseuchter Wolle an der französischen Küste auszulegen. Allein diese wenigen Beispiele zeigen, wie stets neue Möglichkeiten ersonnen wurden, den Gegner auch durch gezielt ausgelöste Krankheiten zu besiegen. Im 20. Jahrhundert wurde dann begonnen, biologische Kampfmittel in großem Umfang auf wissenschaftlicher Grundlage und als Massenvernichtungsmittel zu entwickeln. Damit einher ging die Ausarbeitung von Methoden und taktischen Varianten der biologischen Kriegsführung. Zu biologischen Kampfstoffen zählen krankheitserregende Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Pilze und Sporen, die zur Infizierung und Vernichtung von Menschen, Tieren und Nutzpflanzen eingesetzt werden, die die Saat oder Ernte vernichten sollen. Des weiteren gibt es Giftsubstanzen tierischer und pflanzlicher Herkunft, die bereits in kleinsten Mengen andere Organismen schädigen oder ihren Tod bewirken. Ein Beispiel dafür ist Curare, das Tier wie Mensch lähmende Pfeilgift südamerikanischer Indianer. Biologische Kampfmittel lassen sich auf sehr unterschiedliche Weise verbreiten: als Aerosole von Flugzeugen aus, mittels Abwurf von Bomben und speziellen Kanistern, durch Raketen, Artillerie- und Handgranaten - oder einfach per Post. Perfide ist auch das Aussetzen krankheitserregender Flöhe, Milben, Wanzen, Läuse, Fliegen und Mücken an Orten, wo viele Menschen zusammenleben, ins Trinkwasser oder in Belüftungssysteme etc. Schon 1925 wurde im so genannten Genfer Giftgasprotokoll die Anwendung bakteriologischer Kampfmittel verboten, für völkerrechtswidrig erklärt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Mehr als 40 Staaten unterzeichneten dieses Abkommen, nicht ratifiziert wurde es von Japan und den USA. Während des Zweiten Weltkrieges wurde verstärkt an der Entwicklung biologischer Kampfmittel gearbeitet. In deutschen KZ führten SS-Ärzte Experimente an Häftlingen durch. Gleiches geschah in Japan, wo etwa 3000 Wissenschaftler, Techniker und Militärangehörige in die Erforschung und Herstellung von biologischen Kampfmitteln einbezogen waren. Sie gehörten zu der von General Shiro Ishii geführten »Abteilung 731«. Versuchsobjekte waren amerikanische, britische, australische Kriegsgefangene und die Bevölkerung in den okkupierten Ländern, wobei geprüft werden sollte, wie »die einzelnen Rassen« auf die Bakterien reagieren. Obwohl 1945 wichtige Dokumente der »Abteilung 731« in die Hände der US-Army gefallen waren, erfolgte keine Bestrafung der Schuldigen. Als Gegenleistung für die Kulanz erhielten die Amerikaner Einblick in die gesamte japanische Bio-Waffenforschung und nutzten diese für die eigene Arbeit. 1947 rief die amerikanische Regierung das Genfer Giftgasprotokoll aus dem Senat ab, wo es seit vielen Jahren zur Ratifizierung lag. Damit war eine wichtige politische Vorentscheidung über den möglichen Einsatz biologischer Waffen seitens der USA gefallen. Tatsächlich sollten nur wenige Jahre bis zur Anwendung solcher Waffen durch die US-Army vergehen. Im Korea-Krieg (1950-1953) wurden ab Januar 1952 biologische Kampfmittel wie Cholera-, Pest-, Milzbrand-, Ruhr- und Typhuserreger von Fliegerkräften über Konzentrierungsräumen der Koreanischen Volksarmee, über Feldern, Städten und dicht besiedelten Gebieten abgeworfen oder von Diversanten dorthin eingeschleust. Natürlich riefen diese barbarischen Aktionen Angst und Schrecken hervor. Sie änderten jedoch nichts am Verlauf und Ausgang des Krieges. Nach dem Koreakrieg setzten die USA ihre Forschungen für den Kriegseinsatz mit biologischen Kampfmittel unvermindert fort. Es ging vor allem um ihre Erprobung, um effektive Methoden ihrer Ausbringung und Verbreitung unter realen Einsatzbedingungen außerhalb (!) der Laboratorien. Trotz strengster Geheimhaltung von Pentagon und CIA drangen Nachrichten von diesem Treiben an die Öffentlichkeit. Rätselhafte Krankheitsfälle und plötzliche Epidemien sorgten für Unruhe. 1977 kam es zu einer Anhörung im USA-Senat. Befragt wurde auch der Leiter des Labors im Bunker 459 in Fort Detrick (Staat Maryland), Dr. Gottlieb. Er berichtete unter anderem von drei Versuchen, Fidel Castro durch natürliche Gifte und Tuberkulosebakterien ums Leben zu bringen. Über die geheimen Arbeiten an biologischen Kampfmitteln in Fort Detrick schwieg er sich aus. Dennoch war zu erfahren, dass im Bunker 459 des besagten Militärobjekts hochgradige Gifte lagerten und zu diesem Zeitpunkt etwa 37 verschiedene biologische Kampfmittel verfügbar waren. Die Senatsanhörung von 1977 bedeutete keineswegs das Ende der bakteriologischen Experimente in den USA. Schließlich sah sich das Pentagon unter dem Druck der Öffentlichkeit gezwungen, einen 71 Seiten langen Bericht über »bakteriologische Attacken« in der New Yorker Metro freizugeben. Dort stand zu lesen, wie vom 7. bis 10. Juni 1966 die Benutzer der Untergrundbahn in ihrem Kernbereich - in Manhattan - mit angeblich harmlosen Milzbranderregern buchstäblich überschüttet wurden. Glaskolben mit Bakterien, etwa 87,5 Trillionen in jedem, zerschlug man an den Ventilationsgittern auf den Bürgersteigen über den Metro-Stationen. »Als sich die Wolke auf die Menschen in der Metro herabsenkte, schüttelten sie sich, hoben die Augen zur Öffnung des Luftabzuges empor und gingen weiter«, heißt es im Bericht. Das Experiment galt als gelungen. Ob Menschen zu Schaden kamen, ist nicht ausgewiesen. Am 16. Dezember 1971 billigte die 26. UNO-Vollversammlung die »Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Anhäufung von Vorräten bakteriologischer (biologischer) und Toxin-Waffen und über ihre Vernichtung«. Um in den USA bevorratete biologische Kampfstoffe vor der zu erwarteten Beseitigung zu schützen, wurde noch in der Vorbereitungsphase der Konvention - wie ein am 16. Februar 1970 vom damaligen stellvertretenden Direktor für Planung in der CIA unterschriebenes Dokument belegt - eine Reihe biologischer Kampfmittel wie Milzbrand-, Darmgrippe-, Brucellose- und Pockenerreger, auch Lebensmittelgifte, aus Fort Detrick nach Baltimore in das Forschungszentrum einer Privatfirma umgelagert. Selbst nach Annahme der Konvention kam ein grundsätzlicher Stopp der Arbeiten an der Entwicklung weiterer derartiger Massenvernichtungsmittel für die USA nicht in Frage. CIA und Armee verlegten vielmehr einen Teil der biologischen Waffenforschung ins Ausland oder koordinierten sie mit ihren Partnern in anderen Ländern. 1981 besuchte ein sowjetischer Journalist das »Pakistanische Medizinische Forschungszentrum« in Lahore, wo er sich Zutritt in schwer zugängliche Labors verschaffe. Er erfuhr, dass hier unter Leitung eines Professors aus den USA »mit afrikanischen Moskitos gearbeitet« werde, die besonders geeignet sind, um als Träger und Verbreiter von Infektionskrankheiten zu dienen. Auf den Vorwurf, dass er an der Entwicklung bakteriologischer Waffen beteiligt sei, antwortete der amerikanische Projektleiter (der nach den Enthüllungen des sowjetischen Journalisten Pakistan verlassen musste): »Nein, wir beschäftigen uns mit reiner Wissenschaft, obwohl unsere Experimente, theoretisch natürlich, zum Zwecke der bakteriologischen Kriegsführung ausgenutzt werden können.« An der militärischen Entwicklung und Abwehr von Biowaffen wurde auch in England, vornehmlich in Porton Down, in der Sowjetunion, in Zagorsk oder irgendwo in Sibirien in einem der nur als Briefkästennummern existierenden geheimen Forschungszentren, und in Südafrika gearbeitet. Gegenwärtig hat sich in Pretoria der Arzt Dr. Wouter Basson vor Gericht zu verantworten. Er war zu Zeiten des Apartheidregimes Leiter des streng geheimen »Project Coast« und baute seit 1982 eines der größten Biowaffenarsenale der Welt auf. In den nördlich von Pretoria gelegenen unterirdischen Roodeplaat Forschungslaboratorien waren binnen kurzem, wie einer seiner Mitarbeiter berichtete, gut 600 verschiedene Mikroorganismen vorrätig, Killerkeime und Krankheitserreger, eine ganze Büchse der Pandora: Milzbrand, Pocken, Cholera, Hepatitis A, Ebola, Gelbfieber, Pest, gefährliche Kolibakterien und hochkonzentrierte Schlangengifte. Wie einst bei den Japanern wurde auch hier nach rassespezifischen Krankheitserregern gesucht, um sie - bei Erfolg - gezielt gegen die schwarze Bevölkerung und die afrikanischen Befreiungsbewegungen einzusetzen. Geplant war, Nelson Mandela durch karzinogene Substanzen, die seiner Gefängniskost beigemischt werden sollten, langsam, aber sicher umzubringen. Noch Ende der 1970er Jahre waren im damaligen Rhodesien (heute Sambia, Malawi und Simbabwe) mit südafrikanischer Unterstützung Wasserstellen mit Cholerabakterien und von Schwarzafrikanern dicht besiedelte Gegenden mit Milzbrand verseucht worden. Ende vergangenen Jahres fand in Genf die »Fünfte Überprüfungskonferenz« zur Biowaffen Konvention von 1972 statt. Eines ihrer Anliegen bestand darin, ein lange diskutiertes Verifikations- oder Zusatzprotokoll zu verabschieden, das eine effektivere Kontrolle des Verbots der Herstellung und Verbreitung von biologischen Kampfstoffen vorsah - auch auf dem Wege obligatorischer Inspektionen von biomedizinischen Laboratorien. Eigentlich hätten gerade die USA, die ja zu den Depositarstaaten der oben genannten, 1975 in Kraft getretenen UN-Konvention zählen, eine solche bindende Regelung begrüßen müssen, denn dadurch wäre eine weitere völkerrechtliche Handhabe zur Stärkung des Bio-Waffenverbots sowie zur Kontrolle vermeintlicher Bio-Rüstung und der Nutzung von Biowaffen durch Terroristen gegeben. Die US-Unterhändler vereitelten jedoch die Einrichtung einer solchen Kontrollinstanz. Es drängt sich der Eindruck auf, als wolle die im Moment führende Weltmacht ihren derzeitigen Vorsprung im Besitz und in der Herstellung biologischer Waffen sowie den Methoden ihres militärischen Einsatzes verteidigen. Die Spirale der Bio-Waffenforschung und Bio-Rüstung dreht sich tödlich weiter. Unser Autor, Professor für Alte...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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