»Sachkundige der Praxis« in Schulen

Bundeswehr wirbt für die »Armee im Einsatz« vor allem in strukturschwachen Regionen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bundeswehr verstärkt ihre Werbung an brandenburgischen Schulen. Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) teilte auf Anfrage mit, dass es in den ersten neun Monaten des Jahres zu 373 Wehrdienstberatungen an Schulen gekommen ist. Im gesamten Vorjahr seien es 334 gewesen. Hinzu kommen 14 Veranstaltungen, in denen Jugendoffiziere der Bundeswehr vor 257 Pädagogen aufgetreten seien.

Aus Sicht von Geritt Große, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, ist diese Entwicklung vor dem Hintergrund eines »strukturellen Rekrutierungsproblems« zu sehen. Sie zitiert das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr: »Es ist damit zu rechnen, dass den Jugendlichen immer mehr bewusst wird, dass es sich bei der Bundeswehr um eine Armee im Einsatz handelt und dass der Beruf des Soldaten erhebliche Risiken in sich birgt. Diese Erkenntnis wird bei einem Teil der jungen Männer und Frauen die Bereitschaft verringern, zur Bundeswehr zu gehen.«

Deshalb setze die Bundeswehr verstärkt auf eine sogenannte externe Personalgewinnung. Den entscheidenden ersten Schritt stelle »die Vermittlung eines positiven Bildes des Soldatenberufes sowie die persönliche Kontaktaufnahme« dar. Zu den »prioritären Zielgebieten« gehörten strukturschwache Regionen, sagte Frau Große.

Das ließ Minister Rupprecht so nicht gelten. Er verwies darauf, dass es im Bereich der Schulämter Frankfurt/O. und Eberswalde überhaupt keine solcher Beratungen in Schulen gegeben hätte. Dort fänden derartige von der Bundeswehr organisierte Veranstaltungen »in der Regel in den Beratungsbüros oder im Rahmen der Berufsberatung in den Arbeitsagenturen statt«.

Der Minister betonte, dass die Einbeziehung von Jugendoffizieren der Bundeswehr sowohl in den Unterricht als auch in andere schulische Veranstaltungen als »erlaubt« zu betrachten sei. Sie gelten als »Sachkundige aus der Praxis«, die den von ihnen vertretenen Bereich veranschaulichen können, um »die Auseinandersetzung damit« zu beleben. Ebenfalls möglich sei der Besuch von Standorten oder Einrichtungen der Bundeswehr im Rahmen des Unterrichts oder bei Schulexkursionen.

Zur Frage der Abgeordneten Große, ob ein solcher Besuch dem Schüler zur Pflicht gemacht werden könne, sagte Rupprecht, wenn die Visite im Rahmen des ordentlichen Unterrichts erfolge, »besteht Teilnahmepflicht«. Für außerunterrichtliche Veranstaltungen dagegen sei die Teilnahme freigestellt. Stichprobenartige Befragungen bei Schulen hätten ergeben, dass sowohl Pflicht- als auch fakultative Veranstaltungen bei und mit der Bundeswehr stattgefunden hätten.

Auf die Frage nach der Gewährleistung der Ausgewogenheit bei derartigen Anlässen sagte Rupprecht, die jeweilige verantwortliche Lehrkraft leite die Veranstaltung und stehe dafür ein, »dass jede einseitige Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler vermieden wird«. Der Lehrer sorge also dafür, dass die erforderliche Ausgewogenheit »sichergestellt« bleibe. Grundsätzlich sei er bei derartigen Veranstaltungen anwesend.

Zugleich räumte der Minister ein, dass diese Gewährleistung eben doch nicht hundertprozentig ist. Ein Teil der Veranstaltungen sei auch allein von Jugendoffizieren der Bundeswehr bestritten worden. Dies hätten Stichproben ergeben.

»Eine zahlenmäßige Aufschlüsselung ist nicht möglich.« Für die Abgeordnete Große ist vor diesem Hintergrund das Neutralitätsgebot nicht mehr erfüllt. Sie halte es für wünschenswert, dass auch Interessenvertretungen von Wehrdienstverweigerern und anderen pazifistische Organisationen Auftritte in Schulen haben. Die Abgeordnete kündigte weitere parlamentarische Initiativen in dieser Angelegenheit an.

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